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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram in der Heiligen Messe um geistliche Berufungen im Rahmen der Ulrichswoche

Nachfolge lohnt sich auch heute!

10.07.2025

Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst, liebe Schwestern und Brüder in Christus! Was hat dieser Josef durchgemacht? In die Tiefe gestoßen, erniedrigt, „seine Füße in Fesseln, sein Hals in Eisen“ (Ps 105,18), verkauft und für Tod erklärt; jeder familiären Beziehung beraubt und in die Fremde verbannt. Eine Reihe an Propheten, Aposteln, an heiligen Frauen und Männern haben ähnlich starke Leiderfahrungen machen müssen. Denken wir nur an den heiligen Paulus, der mehr als einmal Schiffsbruch erleidet, Schläge, Gefängnis und Peitschenhiebe einsteckt und von quälenden Sorgen um seine Gemeinden verzehrt wird (vgl. 2 Kor 11,24-29). Ergeht es so also einem Diener Gottes?

Vor tätigen Angriffen gegen Priester und Ordensleute bleiben wir in unserem Bistum im Großen und Ganzen verschont – in vielen Teilen der Weltkirche aber ist Christsein gleichbedeutend damit, Gefahr für Leib und Leben in Kauf zu nehmen. Was viele hier jedoch mit dem heiligen Paulus teilen, ist die Erfahrung, dass die Sorge um die anvertrauten Menschen, Pfarreien, Verbände und Abteilungen, die Sorge um die Zukunft der eigenen Ordensgemeinschaft oder gar der ganzen Kirche zur inneren Zerreißprobe werden kann. Immer wieder begegne ich Seelsorgenden, die sich der Last der täglichen Anforderungen nicht mehr gewachsen fühlen oder die von uns Hirten der Kirche allzu enttäuscht sind - manch einer wünschte sich vielleicht den heiligen Ulrich zurück.

Hinzu tritt der enorme Imageverlust der Kirchen in der Gesellschaft. Wer heute damit rechnet, durch ein geistliches Amt Ansehen zu genießen, wird früher oder später bitter enttäuscht werden.

Und schlägt nicht sogar Jesus in dieselbe Kerbe, wenn er seine Apostel auf eine anstrengende Missionsreise schickt und gleichzeitig verlangt weder Geld noch Vorräte oder Wechselkleidung mitzunehmen? Ja nicht einmal Schuhe oder ein Stock zum Abstützen soll ihnen vergönnt sein!

Darf und kann ich als Bischof vor diesem Hintergrund den Frauen und Männern, die über eine geistliche Berufung nachdenken, noch guten Gewissens einen solchen Weg empfehlen?

Wer in den heutigen Lesungen einen Beleg für schlechte Arbeitsbedingungen von Gottes Bodenpersonal sieht, hat die Texte nur oberflächlich erfasst! Gleich viermal ist in den wenigen Versen des Evangeliums ausdrücklich vom Wert der Jünger die Rede. Jesus weist die Apostel an, sorgfältigst auszuwählen, bei wem sie auf ihrer Reise unterkommen. Diejenigen, die sich mit Kräften für das Evangelium einsetzen, sollen mit allem Notwendigen versorgt sein. Und wo der Friedensgruß der Jünger nicht erwidert wird, da soll der Friede zu ihnen zurückkehren und in ihrem Innern bleiben. Im Herzen eines Jüngers ist demnach kein Platz für Ablehnung, Hass oder Hetze.

Auch die Josefsgeschichte steckt bei aller Tragik voller Hoffnungszeichen. Der eben gehörte Abschnitt spielt mit dem Ausdruck des „unter die Augen Tretens“. Blicke können vernichten oder Leben schenken. Wer aus dem Blickfeld eines Herrschers herausfällt, kann auf keine Hilfe mehr hoffen. Auf wen er aber sein Auge richtet, der wird Fürsorge erfahren. Wer gesehen wird, ist angesehen, erfährt Würde und Wert. Was in der Lesung über die Augen Josefs gesagt wird, dürfen wir auf Gott übertragen. Der alttestamentliche Gottesname El-Roï bringt diesen Wesenszug Gottes zum Ausdruck: El-Roï - Gott schaut auf mich (Gen 16,13). Gott hat nicht nur irgendwie einen groben Überblick über die Welt, etwa von oben herab, sondern er sieht Sie, er sieht mich ganz persönlich. Bevor wir unsere Augen zum Herrn richten, hat er uns schon längst im Blick. So hat Natanaël, einer der ersten Jünger Jesu, seine Berufung erlebt: „Noch ehe du (von Philippus) gerufen wurdest, da habe ich dich schon unter dem Feigenbaum gesehen!“ (Joh 1,48), spricht Jesus zu ihm. Gott sieht uns an. Er schaut uns mitten ins Herz. Aus seinem Blick entspringt Berufung und nährt sich Berufung! Darum kann ich auch heute Frauen und Männern, die einen geistlichen Lebensweg in Betracht ziehen, nur dazu ermutigen, das Antlitz Christi mit ganzem Herzen zu suchen. Gott ist treu. Er nimmt seinen liebenden Blick nicht von uns!

Ich freue mich, dass heute viele Frauen und Männer hier sind, die diesen Blick wahrgenommen und die der göttlichen Perspektive auf ihr Leben Vertrauen geschenkt haben. Sie sind der Blickrichtung Jesu gefolgt, die Sie in die Pfarreien, Orden und geistlichen Gemeinschaften, ja in die verschiedensten Formen geweihten Lebens geführt hat. Vergelts Gott, dass sie durch Ihre Lebensweise das Reich Gottes für die Augen der Welt sichtbar werden lassen. Denn diesem Blick Jesu nachzufolgen, heißt nicht, die Augen vor der Not der Welt zu verschließen. Vielmehr dränge uns die Erfahrung seines Blicks immer wieder neu dazu, mit den Augen Gottes auf diese Welt zu schauen. Wie viele Menschen, die Opfer von Mobbing, Missbrauch, Krieg und Terror sind, sehnen sich nach einem Blick, der ihnen zeigt, dass sie Wert und Würde besitzen! Mitmenschen, die unter der Last des Alltags oder Einsamkeit leiden, verlangen danach, gesehen zu werden. Sie sind mitten unter uns, nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche. Schauen wir nicht weg!

Damit unsere Augen dabei nicht trübe werden, möchte ich Ihnen nochmal zwei Gedanken aus den heutigen Lesungen mit auf den Weg geben:

1. Leistet Euch Seelsorge für die eigene Seele

„Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben!“ (Mt 10,8) So weist Jesus seine Jünger an. Ja, gebt großzügig weiter, was ihr empfangt - aber vergessen wir nicht zu empfangen! Wenn wir unseren Blick in der Welt umherstreifen lassen, bleiben wir an vielem hängen, worum wir uns kümmern sollten. Suchen wir täglich neu sein Angesicht! Weichen wir dem Blick Jesu nicht aus! Unser geistlicher Lebensentwurf lässt ansonsten alsbald jedwede Beschaulichkeit vermissen. Aus seinem Angesicht aber sollten wir lernen abzulesen, worauf wir unseren Fokus wirklich zu richten brauchen.

Jesus selbst betont bei aller Anforderung, die er an seine Jünger stellt: Nicht nur die Botschaft und euer Dienst, sondern ihr selbst seid von unverhandelbarem Wert! Liebe Schwestern und Brüder, haben Sie Räume und Beziehungen, in denen Sie nicht auf ihre Funktion beschränkt werden, sondern wo Sie in erster Linie Mensch sein dürfen? Das ist zunächst die Zweisamkeit mit dem Herrn. Zweckfreie Räume können uns aber auch durch Menschen und Orte geschenkt werden. Zölibatär leben heißt nicht ohne tiefe zwischenmenschliche Begegnungen leben zu müssen. Investieren wir in die Pflege guter Beziehungen und nehmen wir uns immer wieder Zeit, an Orten zu verweilen, die uns die Schönheit Gottes vor Augen führen.

2. Versöhnt Euch mit den Schattenseiten Eures Lebensweges

Als Josef nach Jahren der Trennung, seine Brüder wiedersieht, fällt es ihm zunächst schwer, sie anzusehen. Zu groß ist der Schmerz über das zugefügte Leid. Doch die Geschichte erfährt einen Wendepunkt. Die Brüder haben Josef erniedrigt, Gott hat aber hat Josef erhöht. Auch wenn er dem Blickfeld seines leiblichen Vaters entrissen wurde, Gott hat Josef nie aus den Augen gelassen! Das lässt ihn seinen Schmerz überwinden. Er will die Augen seiner Brüder nicht vor Tränen brennen sehen (vgl. Gen 45,5); er reagiert nicht mit Rache, sondern ganz im Gegenteil: mit Vergebung und Hilfsbereitschaft. Er kann seinen Brüdern wieder in die Augen blicken. Das Leiden Josefs findet ein Ende. Und an diesem Punkt erkennt er im Rückblick auf sein ganzes Leben: „Denn um Leben zu erhalten, hat mich Gott vor euch hergeschickt.“ (Gen 45,5)

Es kann müde machen, wenn wir das Ergebnis unserer Arbeit nicht sehen können. Hin und wieder wird es uns geschenkt, dass jemand nach Jahren erzählt, wie sehr wir ihm durch eine Predigt oder ein kleines Lebenszeugnis einst geholfen haben. Solche Erfahrungen sind rar, aber sie lehren uns, dass auch die schweren Stunden nicht umsonst gelebt sind. Das Beispiel Josefs ermutigt uns, dass wir uns nicht nur mit den mühevollen Etappen arrangieren, sondern dass wir uns daranmachen, uns mit den wirklich schmerzhaften Erfahrungen unseres Lebens- und Berufungsweges auszusöhnen. Die Wunden, die uns das Leben schlägt, mitunter durch die Schuld von Schwestern und Brüder – unter dem Blick Jesu können sie nach und nach Heilung finden. Lassen wir den Blick nicht zu Boden sinken, wenn Gott selbst es ist, der uns ansehen will.

Die Anbetung im Anschluss an die Messe gibt uns Gelegenheit dazu. Jesus sieht uns an und wir sehen ihn an. In der Eucharistie schauen wir Gottes Herz. Für uns und zu unserem Heil ist er Mensch geworden. Stellen wir unsere offenen Wunden und Fragen unter seinen Blick, damit er Sorge tragen kann für uns. Menschen, die nach ihrer Berufung fragen, brauchen gesunde Vorbilder. Um beides wollen wir heute Abend bitten! Beten wir darum, dass Frauen und Männer ihre inneren Augen für die Schönheit des geweihten Lebens öffnen. Und beten wir für alle, die den Blick Jesu schon erwidert haben, damit sie auf ihrem Weg der Nachfolge Stärkung erfahren. Amen.