„Persevera!“ - Petrus Canisius: Prediger, Ratgeber, Mystiker
Kürzlich las ich in einer wissenschaftlichen Biographie folgende Sätze, die mich spontan ansprangen, weil sie mir fast unheimlich aktuell erschienen: „Das … Jahrhundert ist geprägt von einer Zeitenwende, von einem Umbruch, der alle Schichten erfasste und niemanden unberührt ließ. Diese Entwicklung begann bereits vorher und dauerte darüber hinaus.
…In der Politik, in der Kirche, in der Gesellschaft, überall wurden alte Werte brüchig, verloren an Glanz und mussten neuen Überzeugungen Platz machen… Der Mensch…entriss der Welt ihren Schleier. Er suchte ihre Geheimnisse zu ergründen. Sein Interesse verlagerte sich von der Vertikalen hin zur Horizontalen … Der Mensch machte sich zum Maß aller Dinge, er stellte sich in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns. Die Welt und Gott wurden zu Objekten… Eine Reaktion auf den Niedergang der Amtskirche war die Emanzipation der Laien…Aber auch die Laienkirche bot ein zwiespältiges Bild ... Es (gab) eine Tendenz zur Verdinglichung des Glaubens. Die Menschen suchten Schutz vor den vielfältigen Gefahren des Lebens…Die Leichtgläubigkeit kannte keine Grenzen.“[1]
Was hier stakkatoartig vom 15. Jahrhundert ins Licht gehoben wird, scheint mir auch kennzeichnend für das noch junge 21. Jahrhundert zu sein. Papst Franziskus war einer der ersten, der Monate vor der Pandemie, die für uns alle eine historische Zäsur bedeutete, von einer „Zeitenwende“ sprach. In jenem Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ vom Juni 2019, der viel Staub aufgewirbelt hat und eine heftige Kontroversdiskussion hervorrief, die nicht selten in eine Vereinnahmung des Papstes für die je eigene Position mündete, heißt es:
„Wir sind uns alle bewusst, dass wir nicht nur in einer Zeit der Veränderungen leben, sondern vielmehr in einer Zeitenwende, die neue und alte Fragen aufwirft, angesichts derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist.“[2]
Die Kirche besteht, wie es im ersten Petrusbrief heißt, aus „lebendigen Steinen“ (1 Petr 2,5),
- aus Menschen, die sich hier und jetzt zu Christus bekennen, die bei aller Fehleranfälligkeit, bei allem Versagen und in der Neigung zur Sünde in Seine Fußstapfen treten wollen, Seinen Ruf, „Folge mir nach!“ (Mk 1,17), gehört haben und immer wieder neu hören;
- Menschen, die nicht loskommen von IHM, mögen sie noch Kirchenmitglied sein oder schon nicht mehr…
Zu dieser Kirche zählen auch wir. Vor einem Jahr feierten wir den 500. Geburtstag des hl. Petrus Canisius, nicht nur in der Diözese Innsbruck, deren Patron er ist, sondern auch im Bistum Augsburg, das sich seines ehemaligen Kathedralpredigers und Universitätsgründers gern erinnert hat! Leider wurde der runde Geburtstag des „zweiten Apostels Deutschlands“ nach Bonifatius in meinem Heimatland geradezu verschluckt von der Welle des sog. Synodalen Weges, dem eine Persönlichkeit vom Format des Canisius als geistlicher Begleiter zu wünschen wäre. Daher bin ich sehr dankbar, bei Ihnen, lieber Abt Maximilian, mit dem heutigen Thema auf offene Ohren gestoßen zu sein. Ja, Canisius kann auch nach 500 Jahren noch Menschen mobilisieren. Und das mit Recht, denn wir können viel von ihm und seinem Einsatz für Christus lernen.
So erlaube ich mir, sogleich medias in res zu gehen und in einem persönlichen Zugang mir wichtige Aspekte aus Leben und Wirken dieses missionarischen Theologen zu entfalten.
Prediger und Ratgeber
Unmittelbar nach seiner Entscheidung gegen den Eintritt in die hochangesehene Kölner Kartause und für den neuartigen und daher in weiten Kreisen der Gesellschaft noch kritisch beäugten Jesuitenorden, den er durch seinen Exerzitienmeister Peter Faber SJ kennengelernt hatte, gründete der 22jährige Holländer mit Hilfe seines väterlichen Erbes eine erste jesuitische Niederlassung[3]. Damit setzte er ein klares Zeichen für die sog. Altgläubigen, die zum Papst und der hergebrachten Glaubenslehre hielten: Denn der amtierende Kölner Erzbischof und Kurfürst Hermann von Wied (1477-1552) war drauf und dran, sich öffentlich als reformatorisch zu bekennen und hatte bereits seit Jahren Lutheraner als Prediger zugelassen. Deshalb war es in den Augen vieler besorgter Katholiken höchste Zeit zu intervenieren. - Fast kommt es einem Husarenstückchen gleich, dass es gerade dem jungen Peter Kanis 1545 als Unterhändler gelang, Kaiser und Papst für die brenzlige Situation und die drohenden Folgen zu sensibilisieren. In Rom reagierte man schnell, setzte Hermann von Wied ab und die Stadt der Hll. Drei Könige blieb katholisch.
Petrus Canisius, wie er sich fortan nach Humanistenbrauch nannte, wirkte als begeisternder Theologieprofessor an der Universität in Köln und als Prediger an Sonn- und Feiertagen – sogar noch vor seiner Priesterweihe am 13. Juni 1546.[4] Danach reihte er sich mutig und konsequent ein in die Zahl derer, die ihr Leben der Erneuerung der Kirche verschrieben hatten. Ein erster Meilenstein war dabei die Entsendung als Konzilstheologe nach Trient (1547) durch den Augsburger Bischof, Kardinal Otto Truchsess von Waldburg-Trauchburg (1514-1573), mit dem er sich einige Zeit vorher angefreundet hatte. Historisch betrachtet ist es wohl überhaupt Canisius und seinen Mitbrüdern zu verdanken, dass dieses mit insgesamt 18 Jahren „längste Konzil in der Kirchengeschichte“[5] überhaupt abgeschlossen werden konnte!
Seine Beziehung zu Kardinal Truchsess von Waldburg offenbart überdies, dass Canisius als Jesuit zwar kompromissloser „Papalist“ war, aber keinesfalls Verständnis heuchelte, wo Mahnung oder gar der Hinweis auf das Jüngste Gericht angezeigt waren. So machte er auch gegenüber hochrangigen Würdenträgern und Gönnern keinen Hehl daraus, dass in seinen Augen Strukturreformen innerhalb der Kirche dringend notwendig waren. Doch leider blieb sein Einsatz in dieser Hinsicht erfolglos. Die neueste, sehr fundierte und dabei gut lesbare Biografie unseres Heiligen aus der Feder von Mathias Moosbrugger resümiert lapidar: „Dass (…) die deutsche Kirche noch beinahe ein Vierteljahrtausend lange eine machtpolitisch orientierte Adelskirche bleiben sollte, ist Tatsache.“[6]
Wie sehr der junge Mitbruder für die „Rettung der Seelen“ brannte, erfuhr 1548 auch der Ordensgründer Ignatius von Loyola, als er Canisius vor dessen Profess auf Lebenszeit in seine unmittelbare Nähe nach Rom rief. Und obwohl der erste deutsche Jesuit dort u.a. als Gärtner und Küchengehilfe seine Bereitschaft zu allen Arbeiten im Dienste der Gesellschaft Jesu unter Beweis stellte, wurde offensichtlich, dass der hellhäutige Mitteleuropäer nicht nur die mediterrane Hitze schwer ertrug, sondern sich – in einer Art pastoralem Heimweh - unablässig nach Deutschland zurücksehnte.[7] Doch erst der scheinbare Umweg über das sizilianische Messina und die dortige Gründung eines neuartigen Jesuitenkollegs vermittelten Petrus Canisius das nötige Rüstzeug. Kaum hatte er am 4. September 1549 seine letzten Gelübde abgelegt, brach er im Bewusstsein, damit seinem göttlichen Auftrag zu folgen, nach Ingolstadt auf – nicht ohne vorher in Bologna noch den für eine Anstellung an der bayerischen Universität notwendigen Doktorgrad zu erwerben. Er hatte erkannt, dass Bildung und Ausbildung eine zentrale Rolle in der Verkündigung und Festigung des Glaubens spielten!
Umso herber war folglich die Ernüchterung, die aus Canisius erstem Ingolstädter Bericht an die Ordensleitung spricht: „Es ist im Allgemeinen nutzlos, irgendein Interesse für Religion bei den Deutschen vorauszusetzen. Für die Katholiken beschränkt sich die religiöse Praxis darauf, eine inhaltsleere Predigt an Feiertagen zu hören. Was Fasten letztlich bedeutet, erschließt sich den in Deutschland lebenden Katholiken nicht; wenn es hochkommt, ist gerade einmal das Wort ‚Fastenzeit‘ bekannt. Wie selten ist es, dass sie in die Kirche gehen, die Messe mitfeiern oder auch nur das geringste Interesse für religiöse Traditionen zeigen. Wohlgemerkt: Ich spreche von den Katholiken, die diesen Namen noch tragen. Jeden Tag gibt es eine Messe in unserer Kapelle (…) Man kann die Glocke auch zweimal läuten, alles vergebliche Liebesmüh: Es besuchen nur wenige Leute die Messe (…), auch wenn sie uns schätzen wegen unserer Lehre und unseres Lebensstils.“[8] Klingt uns dies nicht recht vertraut?
Doch Canisius und seine Gefährten lassen sich nicht entmutigen, sie igeln sich nicht ein oder widmen sich in Wagenburgmentalität den wenigen verbliebenen Katholiken. Im Gegenteil: Getreu dem Leitwort ihres Ordens, „iuvare animas - den Seelen helfen“, suchen sie das Gespräch mit allen, den Gebildeten und Ungebildeten, den Armen und Reichen, den Ausgestoßenen und Randständigen - und vor allem jenen Menschen, die der katholischen Kirche den Rücken zugekehrt hatten.
Dabei leben die Jesuiten selbst extrem asketisch, buchstäblich von der Hand in den Mund, und sie leben vor, was sie verkünden. Jahrzehnte später wird Canisius seinem Ordensgeneral das bewährte Vorgehen im Rückblick (Januar 1583) folgendermaßen erläutern: „Es ist sicherlich nicht angebracht, den Häretikern - damit sind alle reformatorischen Strömungen gemeint (Anm. B.M.) - mit Härte zu begegnen und sich ihnen gegenüber eines rüden Umgangstons zu befleißigen; derartiges Verhalten liefe auf nichts anderes hinaus, als das geknickte Rohr zu brechen und den glimmenden Docht auszulöschen (…). Diejenigen, die die Reformation bitter und misstrauisch gemacht und dem rechten Glauben und uns Katholiken entfremdet hat, muss man mit Sanftmut eines Besseren belehren, damit wir in aller Liebe und allem Wohlwollen ihre Herzen im Herrn für uns gewinnen. (…) Man muss versuchen, sie für einen einfachen Glauben zu gewinnen: nicht nur durch Worte, sondern auch durch beispielhaftes Verhalten.“[9] Wort und Tat, Lehre und Leben, Reden und Hören müssen also eine Einheit werden, um glaubwürdig Zeugnis von Christus abzulegen. Schon Paulus, der Völkerapostel, wurde nicht müde, dies als Zentrum seiner Verkündigung der Frohen Botschaft zu betonen: „Obwohl ich von niemandem abhängig bin, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen“ (vgl. 1 Kor 9,20ff). Für die Mitglieder der Gesellschaft Jesu wurde dieses „Allen bin ich alles geworden“ zur pastoralen Richtschnur.[10]
Doch was heißt diese Maxime für uns, 2000 Jahre nach Paulus und 500 Jahre nach Canisius?
Ich meine zuallererst: Es nie an Respekt fehlen lassen! Dass ich unter allen Umständen anständig und höflich bleibe, bin ich Gott, mir selbst und der kirchlichen, ja der Gemeinschaft aller Menschen schuldig. Leider ist dies auch innerhalb der Kirche nicht immer selbstverständlich. Das echte Gespräch, der faire Disput, der besonders vom guten Zu- und Hinhören lebt, ist heute selten geworden. Stattdessen begnügt man sich oft mit dem Abklopfen der jeweils anderen Position, mit einem Schlagabtausch, der die Suche nach Konsens oder Kompromiss gar nicht erst in den Blick nimmt. Die digitalen Kommunikationsplattformen fördern eher die Anonymität und das schnelle ‚Abkanzeln‘ als gegenseitige Achtung und Aufgeschlossenheit. Daher erscheinen mir die Empfehlungen, die Ignatius seinen Mitbrüdern für die Teilnahme am Trienter Konzil mitgab, heute aktueller denn je. Er schreibt u.a.: „Ich wäre langsam im Sprechen, würde beim Zuhören zu lernen suchen und bliebe dabei innerlich ruhig, um die Gedanken, Gefühle und Absichten der Sprecher aufzufassen und hernach umso besser zu antworten bzw. umso besser zu schweigen."[11] An einer anderen Briefstelle heißt es: „Niedergeschlagenen und versuchten Seelen müssen wir mit besonderer Liebe begegnen, ihnen zuliebe das Gespräch ausdehnen und überhaupt mit gefälliger Liebenswürdigkeit privat und in der Öffentlichkeit ihnen zu Diensten sein, um so eine gegenteilige Stimmung herbeizuführen zu ihrer größeren Erbauung und Tröstung."[12]
Wir dürfen davon ausgehen, dass Petrus Canisius, der es zeitlebens als besondere Auszeichnung empfand, Ignatius persönlich kennengelernt zu haben, sich diese Empfehlungen zu eigen machte. Nur so ist sein durchschlagender Erfolg in der, wie er es nannte, „Wiedergewinnung der Seelen“ überhaupt zu erklären!
Als gläubige Menschen sind wir also unbedingt in unserer Lernbereitschaft herausgefordert – wir besitzen ja den Glauben ebenso wenig, wie wir Gott in die Tasche stecken oder als Talisman mit uns herumtragen können. Ein Christ, eine Christin, die meint, „die Wahrheit“ zu kennen und sie anderen buchstäblich um die Ohren schlagen zu können, entlarvt sich als jemand, der das Evangelium nicht verstanden hat. Auch einem anderen ‚mal so en passant‘ das Christsein oder das Katholischsein abzusprechen, nur weil er/sie etwas sagt, was nicht meiner Vorstellung oder der meiner Frömmigkeitsrichtung entspricht, ist durch das Evangelium nicht gedeckt. (Sie dürfen mir glauben, meine Mitarbeiter/-innen im Sekretariat und ich wissen, wovon ich spreche. Nicht erst seit meiner Ernennung zum Bischof von Augsburg haben schriftliche und mündliche Beleidigungen, Unterstellungen und verbale Angriffe zugenommen.)
Umso wichtiger ist es für alle, die es mit dem Glauben ernst meinen, sich an Vorbildern zu orientieren. Was Ignatius in seinem Exerzitienbuch von dem liebenden Verhältnis zwischen Gott und Mensch aussagt: „Die Liebe besteht in der Mitteilung von beiden Seiten, nämlich darin, dass der Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat oder kann; und genauso umgekehrt der Geliebte dem Liebenden“ (EB 231) - das dürfen und müssen wir auch als Grundlage für die gelingende zwischenmenschliche Kommunikation anerkennen!
Canisius hat dies in der aufgeheizten Stimmung seiner Zeit und den hitzigen Debatten um die rechte Lehre zu leben versucht. Gleichzeitig stand er als Prediger, Beichtvater und geistlicher Begleiter gewissermaßen an der Front und kämpfte nach seinem Verständnis nicht nur gegen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern, wie es schon Paulus schrieb, „gegen die bösen Mächte und Gewalten der unsichtbaren Welt“ (Eph 6,12).
Es herrschte Krieg, wenn er auch zu Canisius‘ Lebzeiten (noch) hauptsächlich mit Wort und Schrift ausgetragen wurde. Keine Seite ging mit der anderen zimperlich um, man sprach, auch im negativen Sinne, „deutsch“ miteinander! Überdies „störte“ der redegewandte Jesuit als „Beispiel eines Beispiellosen den Durchschnitt. Sein Mahnen und Warnen, die Klarheit seiner Lehre und die Offenheit seiner Einwände verärgerten die Unentschiedenen und Halben. Sie verbitterten die Bequemen als unbequem.“[13] – So der Dillinger Historiker Götz von Pölnitz bei seiner Antrittsvorlesung 1954.
Wir alle wissen, dass es nicht bei Beschimpfung und gegenseitiger Ehrabschneidung blieb, sondern wenige Jahrzehnte später daraus ein riesiger Flächenbrand wurde.[14]
Um der historischen Redlichkeit willen sei an dieser Stelle auch nicht verschwiegen, dass Canisius aufgrund des großen Zulaufs, den er vor allem in Augsburg fand, einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Verbreitung des Hexenwahns hatte.[15] Auch wenn bisher keine Quelle seine unmittelbare Beteiligung an einschlägiger Anschuldigung oder einem Prozess nachweist, so wirft die fixe Idee, dass der Teufel sich Menschen bemächtigt, die man dafür mit dem Tode bestrafen müsse, - eine Idee, die er übrigens mit fast allen seinen Zeitgenossen teilte -, doch einen Schatten auf sein Leben, den man nicht einfach wegerklären kann.[16]
Petrus Canisius war geprägt von Sendungsbewusstsein, dem Auftrag, dem er sein Leben geweiht hatte; und der Erfolg gab ihm recht. Gleichzeitig war er ein zutiefst spiritueller Mensch, der sich und seine Motive nach ignatianischer Weisung beständig prüfte. Mit Gebet und mehrfacher täglicher Gewissenserforschung (examen) hatte er immer ein Korrektiv zur Hand: Streng mit sich selbst, nahm er Maß am Ideal, warb im Blick auf andere schriftlich und mündlich um Großherzigkeit, ja zeigte gegenüber dem Fehlverhalten anderer meist großes Verständnis und ermutigte sie durch liebevolle Güte. Alles in allem lebte er jene Überzeugung, die Jahrhunderte später sein Mitbruder Karl Rahner am Ende eines langen Lebens als Theologe und Seelsorger folgendermaßen formulierte:
„Es mag (wer weiß) eine ungeheuerliche Anmaßung der Kreatur sein, wenn ein einzelner sich nicht retten lassen will, ohne dass er sähe, wie sein Nächster gerettet werde. Es kann aber auch ein sublimer, letztlich von jedem Christen geforderter Akt der Nächstenliebe sein, wenn er eigentlich nur in der Hoffnung für alle für sich selber hofft und darum darüber nachdenkt, wie die Gnade Gottes, die letztlich Gott selber in seiner Selbstmitteilung ist, wirklich über alles Fleisch und nicht nur über ein paar sakramental Gezeichnete ausgegossen ist.“[17]
„In der Hoffnung für alle für sich selber hoffen“ – haben wir dies noch im Blick, wir Priester, Ordensleute und alle, die sich auf einen kirchlichen Beruf vorbereiten? Wie steht es überhaupt mit unserer Hoffnung, mit der Ausrichtung auf die Wirklichkeit der Transzendenz? Für Canisius war sie entscheidend, ihr ordnete er vorbehaltlos sein irdisches Leben unter. Ich meine: Auch wir sollten uns wieder neu auf diese Zielgerade hin, auf die Kompassnadel Christus ausrichten. „Ein Christ ist kein Christ“ sagte man in der frühen Kirche und meinte damit, dass Christsein immer Kreise zieht. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20) – das gilt auch hier. Zu meinem Christsein brauche ich den und die andere; denn in ihm/ihr spricht Christus zu mir. Diese Erfahrung hat Ignatius seiner Ordensgemeinschaft tief eingepflanzt, gerade weil die Jesuiten nicht als Mönche in einem Kloster lebten, sondern manchmal auch jahrelang Einzelaufträge erfüllten.[18] Sie wissen sich gesandt mit nichts als dem Evangelium, doch in diese von Gott geliebte Welt. Gesandt, um die Welt im Sinne Christi zu prägen – in aller Vorläufigkeit und Schuldanfälligkeit, wie sie uns Menschen eigen ist.
Ich bin mir bewusst, dass es vor allem zur Verantwortung der Bischöfe, Priester, Theologen und Hauptberuflichen gehört, die sich häufenden Anzeichen einer „Exkulturation von Kirche, also ihre(r) wachsende(n) Entfremdung von kulturellen, ästhetischen und sozialen Erfahrungen und Ausdrucksformen der Menschen von heute“[19] nicht einfach auszublenden oder gar zu leugnen, sondern sie im Sinne des Evangeliums ernst zu nehmen und ihnen proaktiv durch Begegnung und Beziehung entgegenzuwirken. Das Schicksal unseres Mitmenschen, der immer unser Nächster ist, muss uns unter die Haut gehen, ganz gleich, wie ‚fremd‘ er uns erscheinen mag!
Neben dem geistlichen Gespräch war die beinahe tägliche, ganz sicher aber die sonntägliche Predigt in der Eucharistiefeier das bevorzugte Mittel, mit dem Petrus Canisius weite Kreise der Bevölkerung erreichte. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass, wie der Historiker von Pölnitz schreibt, „von den rund 75.000 Einwohnern der schwäbischen Metropole zu dieser Zeit höchstens noch ein Zehntel unter die Anhänger der alten Kirche gerechnet werden (durfte).“[20] In den folgenden fast sieben Jahren (29. Juni 1559-1566) hat Canisius im Augsburger Dom Hunderte von Predigten auf Deutsch und Lateinisch gehalten. Und das mit enormer Durchschlagskraft: Auf sein Wort hin („contionibus moti“) ließen sich bereits in der Fastenzeit seines ersten Dompredigerjahres - sage und schreibe - 900 Personen wieder in die Kirche aufnehmen[21], darunter auch prominente Angehörige der Familie Fugger. An diese Ereignisse erinnert die Domkanzel von 1946 ebenso wie der Petrus-Canisius-Altar im Kirchenschiff. Ihn möchte ich hier für sich sprechen lassen und lade Sie gleichzeitig ein, ihn einmal privat genauer zu betrachten.
In seiner heutigen Präsentation verweist die Anordnung auf eine wechselvolle künstlerische Geschichte, die mit dem Jubiläumsjahr 1897, dem 300. Todestag des Canisius, begann. Der damalige Domprediger Max Steigenberger hatte einen Altar für den 1864 Seliggesprochenen angeregt, konnte aber nur ein neugotisches Denkmal durchsetzen. Dieses gestaltete man erst ein Jahr nach der Heiligsprechung 1926 zu einem Seitenaltar um. Vierzig Jahre später, bei der Domrenovierung 1964, erhielt das Rahmenretabel seine heutige Gestalt. - Die beiden unteren Figuren stellen Georg Fugger und seine Frau Ursula dar, die eben 1560 zum alten Glauben zurückkehrten. Auf der zweiten Ebene folgen Herzog Wilhelm IV. von Bayern, der Canisius nach Ingolstadt geholt hatte, sowie der Augsburger Kardinal Otto Truchsess von Waldburg. Darüber sieht man die Frau Wilhelms IV., Jakobäa von Baden, und den Eichstätter Bischof Moritz von Hutten; auf der obersten Ebene stehen schließlich die damaligen Repräsentanten von Kirche und Reich, Papst Pius V. und Kaiser Ferdinand I.
Letzterer hatte sich an die Jesuiten mit der Bitte um ein handliches Glaubenskompendium gewandt; damit gab er den Anstoß zu dem Lehrbuch, das mit dem Namen Canisius bis weit ins 20. Jahrhundert verbunden sein sollte. Von Jugend an hatte er sich mit reformatorischem Gedankengut auseinandergesetzt und eigenhändig um Ausnahmen für die Studierenden der Jesuitenkollegien gebeten, nachdem Papst Paul IV. selbst antike Klassiker auf den Index gesetzt hatte.[22] Als Student und Lehrer der Theologie vertiefte sich Canisius in die kirchliche Tradition: mit 25 Jahren gab er die Schriften zweier Kirchenväter heraus und profilierte sich in den nächsten Jahrzehnten als Patrologe. Die Kirchenväter „waren nach seiner Überzeugung die wichtigste theologische Ressource“[23], die man nicht „der Deutungshoheit der Protestanten“[24] überlassen durfte.
Dabei ging es ihm vorrangig „um die Erneuerung der katholischen Frömmigkeit“[25] und vor diesem Hintergrund studierte er die Attraktivität des pastoralen Ansatzes der Reformatoren. Deren Katechismus als innovatives Instrument der Glaubensvermittlung modifizierte er ab 1553 in katholischer Manier, indem er, ausgehend von den göttlichen Tugenden den Glaubensteil, der Credo, Vater Unser und Zehn Gebote umfasste, um einen zweiten ergänzte, der die Sakramente und die „Gerechtigkeit“ im Alltag, also die guten Werke, erläuterte.[26] Dieser „Summa doctrinae christianae“, dem sog. großen Katechismus, lässt er - ganz geübter Pädagoge - weitere, jeweils klar zielgruppenorientierte, in Sprachebene und Umfang unterschiedliche Katechismen folgen. Sie erscheinen während seiner Dompredigerzeit in Augsburg in mehreren europäischen Städten gleichzeitig, teils auch in volkssprachlicher Übersetzung, und erleben noch im 16. Jahrhundert 82 Auflagen.[27] Kaum zu glauben: Ein Glaubensbuch als Bestseller!
Was damals so große Wirkung entfaltete, gilt bis heute in unserer Kirche als Nachschlagewerk und „Arbeitshilfe“ (KKK 12). Allerdings ersetzt der Katechismus weder die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift noch darf er gegen sie ausgespielt werden.[28] Christus ist das unhintergehbare und unüberholbare fleischgewordene Wort Gottes, das uns in den Evangelien überliefert wird. Die Evangelisierung ist und bleibt unsere vorrangige Aufgabe und sie muss, wie ich oft betone, der Sakramentalisierung vorausgehen, die ohne sie wie ein Haus ohne Fundament wäre.
Petrus Canisius war daran interessiert, ein Lehrbuch zur Glaubensunterweisung vorzulegen, das zur Selbstvergewisserung der Katecheten diente und in seiner Frage-Antwort-Struktur gut vermittelt und auswendiggelernt werden konnte. Daher stammen seine Katechismen ganz und gar aus der Praxis. Ja, er selbst war sich nicht zu schade, Kindern den Glauben weiterzugeben und für sie Gebetbücher zu verfassen[29], sondern sah in ihnen – egal, welcher Bevölkerungsschicht sie angehörten - sogar die Hauptzielgruppe. Bewusst riskierte er in unserer damals reformatorisch dominierten Stadt, in der katholischer Unterricht verboten war, sogar sein Leben. Daher forderte er am 16. Sept. 1560 vom Domkapitel, dass innerhalb der Kathedrale ein „conclave“, also ein abschließbarer, verborgener Raum zur Verfügung gestellt werde, ausdrücklich zur Unterrichtung der Kinder, „pueri“.[30] Noch heute verortet die Tradition diese Räume über dem rechten Seitenschiff. –
Pädagogische Orte und Methoden ändern sich, doch der Auftrag zur Weitergabe des Glaubens bleibt, immer in der Form, die der aktuellen Lebenssituation entspricht. In den letzten 60 Jahren haben wir intensiver als je zuvor gelernt, ökumenisch zu denken und zu leben. Ich erinnere an die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die nicht von ungefähr 1999 in Augsburg unterschrieben wurde, sowie an das Gedenkjahr der Reformation, das wir 2017 bewusst als Christusfest feiern wollten. Wir tun gut daran, uns immer wieder solcher Ereignisse zu erinnern und nicht nachzulassen, an der Verwirklichung des Wunsches Christi, dass alle eins seien (Joh 17,21), mitzuarbeiten! Nicht zuletzt heißt heute „religiös sein, interreligiös sein“ (Regina Polak). Der interreligiöse Dialog ist daher neben der Verantwortung für die Schöpfung auch zentrales Thema vom Vatikan neu herausgegebenen „Direktoriums für die Katechese“ (Juni 2020), in dem besonders die Herausforderungen der digitalen und globalen Welt benannt werden. Canisius kann uns also Ansporn sein, geistig-geistlich nicht stehenzubleiben, sondern unseren Glauben in einer pluralen Welt im Sinne des II. Vatikanums stets zu ‚verheutigen‘! Damit komme ich zu einem letzten Aspekt, der mir an der Gestalt des Petrus Canisius wichtig ist:
Mystiker
In rastloser Sorge um die Seelen legte er, so hat man errechnet, mehr als 100.000 Kilometer, meistenteils zu Fuß, zurück. Beinahe unvorstellbar bei diesem Arbeitspensum! Nicht umsonst werden in der Jesuitenkirche in Canisius‘ Geburtsstadt seine Schuhe als Reliquien verehrt. Was oder vielmehr wer hat ihn zu dieser Lebensleistung befähigt, wer war sein Antrieb?
Von Jugend auf prägte Canisius, vermittelt durch den Kartäusermönch Johannes Justus von Landsberg (1490-1539), eine tiefe Herz-Jesu-Frömmigkeit, ja Herz-Jesu-Mystik. Sinnenfällig erinnert man daran bis heute in Tirol, und zwar im Herz-Jesu-Monat Juni. Dort werden traditionell riesige Holzstöße, die an den Berghängen kunstvoll in Form eines Herzens mit Kreuz aufgeschichtet sind, tief in der Nacht entzündet und sind dann kilometerweit als Leuchtfeuer sichtbar. Eine ungewöhnliche Art, sich zur Treue gegenüber dem Herzen Jesu zu bekennen – und für alle, die im Tal zu den brennenden Herzen aufschauen, ein eindrückliches, unvergessliches Erlebnis!
Mathias Moosbrugger und Pierre Emonet zeichnen in ihren Biographien die persönliche Christusbeziehung des Canisius nach, die gleichermaßen von der Spiritualität der Kartäuser wie der des Ignatius und des Peter Faber geprägt ist. Die lang geübte Herz-Jesu-Verehrung, die Petrus Canisius zeitlebens als Seelsorger besonders förderte, gipfelt während der Vorbereitung auf die Ewigprofess in Ancona am 4. September 1549 in einer Herz-Jesu-Vision, die ihm viele Jahrzehnte später noch so lebendig vor Augen steht, dass er sie in seinem Geistlichen Testament in Form eines Gebetes an den Heiland wachruft: „Du öffnetest mir damals gewissermaßen das Herz Deines so heiligen Leibes, in dessen Inneres schauen zu dürfen ich den Eindruck hatte (…). Ich spürte ein großes Verlangen zu erleben, wie sich in mir Ströme von Glauben, Hoffnung und Liebe ergießen. Ich hatte ein großes Verlangen danach, ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam zu führen; ich bat Dich, mich ganz und gar zu reinigen, mir Kleider des Heils anzulegen und mich zu schmücken (…) Du versprachst mir daraufhin, meine (…) Seele mit dem Gewand des Friedens, der Liebe und der Beharrlichkeit[31] zu bedecken. (…) Diese neuen Gewänder des Heils schenkten mir Zuversicht; so konnte ich voll Vertrauen in die Zukunft schauen; denn ich wusste, dass es mir an nichts fehlen werde und dass alles zu Deiner Ehre gereiche“[32] – Omnia ad maiorem Dei gloriam, das Leitwort des Jesuitenordens klingt hier ebenso an wie Ps 23 und die so ermutigende Stelle aus Jesaja 61,10. Denn schon der Prophet meint mit den „Kleidern“ mehr als nur eine schützende Hülle. Er umschreibt damit die Würde des Menschen und letztlich eben jene heilende Beziehung zwischen Gott und jedem von uns, seinen Geschöpfen.
Im Bild des Herzens Jesu erfährt Canisius also das bedingungslose Angenommensein durch seinen Schöpfer und erhält Kraft und Mut für sein Wirken im von Glaubensstreit zerrissenen Deutschland, dem „dreimal unglücklichen Deutschland – ter misera Germania“[33] - , wie er es 1551 in einem Brief an Ignatius nennt. Mit Erlaubnis seines Ordensvaters kann er später „sogar durchsetzen, dass alle Priester der Gesellschaft monatlich eine Messe für das geistliche Wohl Deutschlands und der Länder nördlich der Alpen lasen.“[34] - Vielleicht sollten wir dies wieder einführen?
Ausgesprochen skrupulös veranlagt, vermag er aufgrund seiner eigenen leidvollen Erfahrungen auch anderen hilfreicher geistlicher Begleiter sein. So empfiehlt er Mitte Oktober 1560 z.B. einem kranken und von Sündenangst geplagten Mitbruder, er solle sich davor hüten, zu viel über die Sühne der Sünden, die Qualen des Fegefeuers und die Strenge des (Jüngsten) Gerichts nachzudenken, sondern stattdessen die göttliche Barmherzigkeit meditieren und, so wörtlich, „sein Nest in den Wunden Christi“[35] bauen. Das eigene „Zuhause in den Wunden Christi“[36] zu errichten – dies scheint mir in die ‚spirituelle Herzkammer‘ des Phänomens Petrus Canisius zu führen.[37]
„Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über“, diese im Deutschen sprichwörtlich gewordene Übersetzung eines Jesuswortes (Mt 12,34) durch Martin Luther benennt, wenn man so will, die ‚Methode des Canisius‘ - eines Predigers, der weder durch große Originalität der Gedanken noch durch brillante Rhetorik Eindruck machte, und dennoch seine Zuhörer nicht selten über Stunden fesselte, weil er im Erzählen von Gott kein Ende finden konnte.[38] Petrus Canisius brannte kein rhetorisches Feuerwerk ab, aber er verzehrte sich als spirituelles Kraftwerk. In seiner Christusbeziehung liegt das Geheimnis seines erfolgreichen pastoralen Wirkens und letztlich auch das Vermächtnis dieses „missionarischen Jüngers“[39]. Dabei sind Canisius‘ Briefe und theologische Texte, Tausende von beschriebenen Seiten, bis heute ein Schatz, der immer noch darauf wartet, wiederentdeckt und gehoben zu werden.
PERSEVERA! Dieses Wort hat der sechzehnjährige Petrus Canisius in Großbuchstaben auf sein Lateinheft geschrieben: Halte durch! Sei beharrlich! Bleib dran! Krisen durchstehen, Widerstand aushalten, treu sein im Glauben und in den Werten des Evangeliums: Kann es ein besseres Motto geben für uns in dieser delikaten Zeit?
Benutzte Literatur:
Braunsberger, Otto: Beati Petri Canisii, Societatis Iesu, Epistulae et acta. 8 Bde. Freiburg: Herder 1896ff. Bd. 2. (abgekürzt als Br)
Emonet, Pierre SJ: Petrus Canisius. Der Unermüdliche. Echter: Würzburg 2021
Gorges-Braunwarth, Susanne: Was Menschen glauben, worauf sie hoffen und wie sie lieben. In: Anzeiger für die Seelsorge 11/2020
Haub, Rita: Petrus Canisius und die Frauen. In: Jesuitica, hrsg. von Julius Oswald 2001, S. 41-76 (=Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte: Beiheft/ B; 17)
Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen. Echter: Würzburg 2015
Katechismus der Katholischen Kirche (KKK). Taschenbuchausgabe. München et alii. 1993
Moosbrugger, Mathias: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten. Tyrolia: Innsbruck 2021
Moosbrugger, Mathias: Ich…kann den Mund nicht halten“. Petrus Canisius und das Apostolat der Geschwätzigkeit. In: Geist und Leben. Heft 2: April-Juni 2021, S. 133-140
Niewiadomski, Józef: Den Blick auf die Wunde wagen. Dieses Herz ist anders. In: Herderkorrespondenz 10/2020, S. 27-29
Pölnitz, Götz von: Petrus Canisius und das Bistum Augsburg. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Bd. 18/1955, S. 352-394
Rahner, Karl SJ: Von der Unbegreiflichkeit Gottes. Erfahrungen eines katholischen Theologen (1984). Freiburg: Herder 2005
Rummel, Peter: Canisiusverehrung im Bistum Augsburg. In: Julius Oswald SJ/Peter Rummel (Hgg.), Petrus Canisius. Reformer der Kirche. Festschrift zum 400. Todestag. Sankt Ulrich Verlag: Augsburg 1996 (= Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte e.V., 30. Jahrgang 1996), S. 275-284, Abb. 95-97
Satzungen der Gesellschaft Jesu III (Deutsche Werkausgabe II). Echter: Würzburg 1998
Steinmetz, Franz Josef SJ: „Durch die Türe des anderen herein“. Ignatianische Kommunikations-Regeln. In: Geist und Leben Heft 64/1991, S. 306-13
Originalzitate:
Canisius aus Ingolstadt an Juan Polanco am 24. März 1550:
Oltre di questo, communemente il zelo de la religione non bisogna cercar hora nelli Tedeschi*, conciosiache il culto divino delli cattolici gia e ridotto quasi a una fredda predica nelle feste. Resta solamente il nome qui della quaresima; il gieiunar nori si tocca. Oli quanto e raro visitare rechiese, star alle messe, o mostrar' alcun gusto dell' antica religione. E questo dico delli cattolici, gii quali con il nome cosi restano. Onde essendo ogni di quasi almeno una messa publica in la nostra cappella, la quale e propinqua a tutti gii scolari e in mezo quasi della citta, anchorachè si suona con due campane alla messa, pur tanta e la pouerta delle persone che vengono, che quasi con denari no potreremo comprare doi auditori. benche ci danno assai la stima della dottrina et della vita buona“ (Br I, 308f.)
Brief an Nikolaus Goudanus am 15. Okt. 1560. In: Braunsberger 1896; Br II, 742: …] De peccatorum expiatione, de purgatorij cruciatibus, de iudicis seueritate caueat R. T. ne cogitationes, aut potius tentationes in animum inducat suum praeter necessitatem. Exerceat spem contemplatione diuinae misericordiae, ponat nidum suum in Christi vulneribus, fidat thesauro inexhausto meritorum, quae Christi corpus porrigit, nitatur Sacramentorum virtute Sacrosancta, et quicquid hoc est, quod agit et patitur cum Christi et Sanctorum eius meritis coniunctum offerat quotidie Patri, qui deus est totius consolationis neque bis iudicat in idipsum..
An Ordensgeneral Claudius Aquaviva in Rom 1583. In Br VIII, 130:
Incommodum est sane, illos primum accedentes dure excipere aspereque tractare. quod nihil sit aliud, quam contra Christi exemplum arundinem quassatam confringere, et linum fumigans extinguere. Quos enim haeresis amarulentos, suspicaces et ab orthodoxis, praesertim autem a nostris alienos efficit, eos in spiritu lenitatis perpetuo i n s t r u i oportebit. quoad omni caritate et beneuolentia eorum nobis animos in Domino conciliemus. Incommodum est, contentiose agere, ac de fidei rebus cum illis disceptare, qui spiritu contradictionis imbuti, suapte sponte ad contentiones procliues et praecipites esse solent, eoque magis non uerbis tantum, sed exemplo etiam ad fidei simplicitatem alliciendi ac reuocandi sunt.
Aus dem Geistlichen Testament In: Br I, 55f.
dem Zitat voraus geht folgender Hinweis:
4'° Septembris quando festum Moyse Prophetae, et octava D. Augustini Episcopi colitur, quia professurus eram, dedisti gratiam Domine ut me tamque solennem actum sanctissimis Apostolis in Vaticano supplex commendarem, et illi tunc supplicationi meae annuere visi sunt, atque Pontificia auctoritate comprobare vota mea, quae illis ordine primum offerebam. Ago certe gratias ut debeo pro bene- dictione ab illis accepta, consolatus utcumque abij, quod illis faventibus ad functionem Apostolicam perventurus eram, (…)
übersetztes Zitat:
(…) Tu tandem, velut aperto mihi corde sanctissimi Corporis tui, quod inspicere coram videbar, ex fonte illo ut biberem jussisti, invitans, scilicet ad hauriendas aquas salutis meae de fontibus tuis, Salvator meus. Ego vero maxime cupiebam, ut fluenta fidei, spei, caritatis in me inde derivarentur. Sitiebam paupertatem, castitatem, obedientiam; lavari a Te totus, et vestiri, ornarique postulabam. Unde, postquam Cor tuum dulcissimum attingere, et meam in eo sitim recondere ausus fueram, vestem mihi contextam tribus e partibus promittebas, quae nudam protegere animam possent, et ad professionem hanc maxime pertinerent, erant autem pax, amor et perseverantia. Quo salutari indumento munitus confidebam, nihil mihi defuturum, sed omnia in gloriam tuam successura. (…)
Später im Text heißt es zur Wirkung der Professablegung:
Ac proinde dictum ad me non semel existimo: ecce ego mitto vos in medio luporum: ite, praedicate Evangelium omni creaturae. Paucis haec obtigit gratia, ut vivo Patre Ignatio, in Romana urbe, primaque nostrorum Domo, et sancta congregatione profiteri possent hanc vere Apostolicam tuam, Domine JESU Societatem. Nec fuit exiguum, quod sensi, robur post Professionem. Spes firmior, pax integrior, circumspectio maior, et in admonendo liberior quaedam facultas et gratia.
[1] Roland Gröbli, Die Sehnsucht nach dem „einig Wesen“. Leben und Lehre des Bruder Klaus von Flüe. (1989). Luzern: Rex 2006, S. 13/15/17.
[2] Papst Franziskus: An das pilgernde Volk Gottes. In: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-06/papstbrief-synodaler-weg-deutschland-text-franziskus.html (aufgerufen 28.10.2020).
[3] vgl. Pierre Emonet, Petrus Canisius. Der Unermüdliche. Echter: Würzburg, 2021, S. 21.
[4] Ebd., S. 25.
[5] Mathias Moosbrugger, Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten. Tyrolia: Innsbruck 2021, S. 145-158, hier S. 157.
[6] Ebd., S. 244.
[7] Emonet, S. 30.
[8] Im Original Italienisch Br I, 308f. Zit. n. Emonet, S. 36f.
[9] Im Original Lateinisch Br VIII, 130 (zitiert im Anhang: An Ordensgeneral Claudius Aquaviva). Auf Deutsch zit. n. Emonet, S. 134.
[10] vgl. Franz Josef Steinmetz, Durch die Türe des anderen herein. Ignatianische Kommunikations-Regeln. In: Geist und Leben 64/1991, S. 303-313, hier: S. 307 sowie Moosbrugger, Petrus Canisius. Wanderer zwischen Welten, S. 39.
[11] Ignatius von Loyola, Trost und Weisung. Geistliche Briefe. Hrsg. von H. Rahner, neu bearb. von P. Imhof. Zürich 1989, S. 88-91, zit. n. Steinmetz, S. 309.
[12] Ignatius von Loyola, Geistliche Briefe. Einsiedeln 1956, 109, zit. n. ebd., S. 311.
[13] Götz von Pölnitz, Petrus Canisius und das Bistum Augsburg. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Bd. 18/1955, S. 352-394, hier: S. 365.
[14] Zur biblischen Grundlegung der Auseinandersetzung vgl. ebd. S. 373: Canisius‘ „Ansprachen von der Domkanzel wurden aus dem Bewußtsein (!), dem Bösen (!) Feinde zu begegnen, der Unkraut zwischen das Korn säht (!), schärfer und unerbittlicher. Denn keinen Ausdruck hat Canisius mit solcher Vorliebe gebraucht, wie das Wort von der ‚Augsburger Ernte‘“ (i.e. Messa Augustana).
[15]Moosbrugger, Wanderer, S. 211-214, weist mit Recht auf Canisius‘ äußerst fragwürdige Rolle am Schicksal von Anna Jakobäa Fugger hin. Demgegenüber hob Rita Haub seine Begegnungen mit Frauen, die ihn förderten bzw. als geistlichen Begleiter schätzten, lobend hervor; vgl. Rita Haub, Petrus Canisius und die Frauen. In: Jesuitica B 17/2001, S. 41-76.
[16] So auch Moosbrugger, Wanderer, S. 222ff.
[17] Karl Rahner: Von der Unbegreiflichkeit Gottes. Erfahrungen eines katholischen Theologen (1984). Freiburg: Herder 2005, S. 39.
[18] Die ignatianischen Experimente für Novizen können als sein Pastoralprogramm gelten: „Während ungefähr eines Monats die Geistlichen Übungen (Exerzitien) machen, …während eines weiteren Monats in Armen- und Siechenhäusern dienen, … einen weiteren Monat lang ohne Geld pilgern, … Nach der Aufnahme ins Haus sich mit ganzem Fleiß und Bemühen in vielfachen niederen und demütigenden Diensten üben. Die christliche Lehre oder einen Teil von ihr öffentlich den Kindern und anderen einfachen Leuten erklären. … Nachdem er erprobt und als auferbauend erfunden wurde, wird er zum nächsten übergehen, das ist predigen und beichthören oder in allem arbeiten, je nach Zeit, Ort und Veranlagung aller.“ In: Satzungen der Gesellschaft Jesu III (Deutsche Werkausgabe II).
[19] Susanne Gorges-Braunwarth: Was Menschen glauben, worauf sie hoffen und wie sie lieben. In: Anzeiger für die Seelsorge 11/2020, S.22.
[20] v. Pölnitz, S. 361.
[21] Die Angaben stammen von Braunsberger (Br II, XL).
[22] vgl. Moosbrugger, Wanderer, S. 237.
[23] Ebd., S. 168.
[24] Ebd., S. 166.
[25] Ebd., S. 185.
[26] Ebd., S. 201ff.
[27] vgl. Emonet, S. 79ff.
[28] vgl. zuletzt die Kontroverse in CiG 2. Mai 2021: Michael Seewald, Gute Katholiken sollten nicht päpstlicher sein als der Papst.
[29] Vgl. Emonet, S. 75.
[30] Vgl. Br II, XLII.
[31] im lateinischen Original heißt das Trikolon: pax, amor und perseverantia. Letztere Eigenschaft erinnert nicht von ungefähr an den Hefteintrag des 17jährigen Peter Kanis, der als erstes Autograph überliefert ist: Persevera! – Halte durch!
[32] Br I, 55. Zit. n. Emonet, S. 144f.
[33] Zit. n. Moosbrugger, Wanderer, S. 118.
[34] Emonet, S. 142.
[35] Eigene Paraphrase bzw. Übersetzung von Br II, 742.
[36] Übersetzung derselben Stelle bei Emonet, S. 158.
[37] Gerade in Pandemiezeiten scheint sich eine gewisse Renaissance der Herz-Jesu-Verehrung anzubahnen, vgl. dazu Józef Niewiadomski: Den Blick auf die Wunde wagen. Dieses Herz ist anders. In: Herderkorrespondenz 10/2020, S. 27-29.
[38] Vgl. Mathias Moosbrugger, Ich…kann den Mund nicht halten“. Petrus Canisius und das Apostolat der Geschwätzigkeit. In: Geist und Leben. Heft 2/April-Juni 2021, S. 133-140.
[39] Zur missionarischen Jüngerschaft vgl. Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (2013), Nr. 119-121, bes. 120.