„Renovierung der Kirche – Erneuerung des Glaubens“
Liebe Schwestern und Brüder in Christus! „Kehrt um!“ (Mt 3,2), so ermahnt uns Johannes der Täufer im heutigen Evangelium. Mit Blick auf die großen Krisen in diesem Jahr – Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimawandel, Energie- und Kirchenkrise – ist Umkehr angesagt. Aber Umkehr wohin? Umkehr zu dem, was vorher war? Rückkehr in eine Zeit, wo die Welt (scheinbar) in Ordnung war? „Flucht zurück“ in die „guten, alten Zeiten“, in die vertraute, heile Welt „von damals“? Mit seinem eindringlichen Ruf geht es Johannes genau nicht um ein Zurück in eine scheinbar gute alte Zeit. Der „Mahner in der Wüste“ fordert zur Umkehr auf, aber mit „dem Blick nach vorn“, weil da etwas völlig Neues anbricht: das Kommen des Himmelreiches (vgl. Mt 3,2).
Johannes als Vorläufer, Jesus als Vollender
Die Israeliten damals lebten auch im Krisenmodus. Johannes der Täufer erkannte das: Politisch durch die römische Besatzung, religiös durch die Zersplitterung in diverse Gruppen, in denen der Glaube an Gott für die Mehrzahl „mehr Schein als Sein“ war, mehr Pflichterfüllung und Ritual als sinnstiftende Glaubenspraxis für das eigene Leben. Das ist die Stunde des Johannes, der Klartext spricht: „Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt. (…) Denn ich sage euch: (…) Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Mt 3,8f.) Klare Ansagen, die Johannes der Täufer macht.
Eine sonderbare, zugleich faszinierende Gestalt, die uns durch den Advent begleitet. Sein Auftreten schneidig, sein Lebensstil eckig, sein Reden scharf und kantig. Ohne Johannes wäre Jesus nicht denkbar. Beide stehen in enger Verbindung zueinander: Johannes war der Lehrer Jesu, von ihm ließ er sich taufen. Und inhaltlich führt Jesus die Richtung seines Lehrers fort: „Kehrt um!“ ist auch Jesu Botschaft. Johannes als Vorläufer (vgl. Lk 7,27) - Jesus als Vollender.
Beide wollten Israel für den Tag des Herrn vorbereiten, ein neue Zeit ankündigen. Doch beide schlagen unterschiedliche Töne an: Johannes macht den Leuten „die Hölle heiß“, in der Mitte seiner Verkündigung steht weniger das Reich Gottes als vielmehr Gottes Gericht als Tag des Zornes. Ganz anders Jesus: Als dieser wie gewohnt am Sabbat in die Synagoge geht, reicht man ihm das Buch des Propheten Jesaja. Er schlägt es auf und liest: „Der Geist des Herrn ruht auf mir. Denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ (Lk 4,17-19) Ohne Widerspruch zum Lehrer, aber in Abgrenzung zu ihm meldet sich Jesus zu Wort: Trostbotschaft statt Drohbotschaft! Johannes kündigt den Tag des Zornes Gottes an; stattdessen kommt der Geistgesalbte, der das Gnadenjahr des Herrn ausruft.
Erneuerung der Kirche – im Hören aufeinander
In den letzten Jahren waren Sie hier in Ebersbach mit der Renovierung der Kirche beschäftigt. Die Maßnahmen waren sehr aufwendig und zudem äußerst kompliziert. Ihre Pfarrkirche, Zeugnis einer wechselvollen Geschichte, hielt somit einige „Überraschungen“ parat: Alle nur denkbaren Probleme sind, wie ich hörte, im Verlauf der Sanierung aufgetaucht. Standardlösungen gab es dafür keine. Teils wurden Verfahren entwickelt, die so noch an keiner Kirche angewandt wurden. Doch heute präsentiert sich die ganze Kirche in neuem Glanz: außen wie innen, auch die Orgel. Prachtvoll steht das Gotteshaus wieder da inmitten des Dorfes und strahlt voller Stolz und Anmut in die Voralpenlandschaft hinein. Und der nach oben ragende Kirchturm will uns zeigen: Unsere Heimat ist im Himmel. Gott ist unser Wegweiser, unser Ziel.
Insgesamt scheint die Kirche sich derzeit in einem großen „Renovierungsprozess“ zu befinden. Nicht zuletzt durch die Missbrauchskrise und das damit verloren gegangene Vertrauen schwankt die katholische Kirche erheblich. Damit wir uns richtig verstehen: Ich will die Situation keineswegs beschönigen oder gar klein reden. Mit Blick auf die aktuellen Prozesse aber fällt auf: Die Bestandsaufnahme der Schäden, ihre Beurteilung und damit die Dringlichkeit ihrer Reparatur fällt höchst unterschiedlich aus. Die einen meinen, es reiche aus, Risse zu füllen, die Wände neu anzustreichen und, wenn nötig, noch das Dach neu zu decken. Demgegenüber stehen andere: Sie wollen im „Bauwerk Kirche“ am liebsten neue Fundamente gießen, tragende Mauern versetzen, gar einreißen, einen neuen Dachstuhl draufsetzen und die gesamte Innenausstattung austauschen. So sind also, um im Bild zu bleiben, die Spannungen im Gebälk zum Zerbersten groß und die aufgezogenen Mauern hoch und verhärtet.
Angesichts dieses Befundes könnte weiterhelfen, was wir in der 2. Lesung hörten, Der Apostel Paulus ermuntert die Gemeinde in Rom: Habt Geduld, schöpft Trost aus den Worten Jesu Christi. Seid eines Sinnes untereinander, seid eine Einheit. Vertraut euch gegenseitig, damit ihr einmütig und mit einem Munde Gott preist. Nehmt einander an, weil Christus euch angenommen hat, zur Ehre Gottes (vgl. Röm 15,5-7).
Als Bischof sehe ich mein Hirtenamt wesentlich als Dienst an der Einheit – übrigens ein zentrales Anliegen Jesu. So scheint mir für die laufenden synodalen Prozesse in Deutschland und in der Weltkirche sowie für die „Renovierungsmaßnahmen“ der Kirche folgendes ganz wesentlich zu sein: sich in Geduld üben, miteinander offen sprechen und einander zuhören in einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts, gemeinsam „in der Stille und des Gebets“ den Willen Gottes suchen und ihm folgen. Von daher bitte ich um Ihr inständiges Gebet für mich und die kirchliche Einheit!
„Mit dem Ohr des Herzens (hören)“ – der hl. Bischof Ulrich als Vorbild
Mit dem Stichwort des „Hörens“ ist der Bogen geschlagen zum Patron Ihrer Pfarrkirche, dem hl. Bischof Ulrich (890-973). Seine Bischofsweihe jährt sich nächstes Jahr zum 1.100sten Mal und sein Todestag zum 1.050sten Mal. Dieses Doppeljubiläum war für mich der Anlass, ein besonderes „Freudenjahr“ für das gesamte Bistum auszurufen. Das Ulrichsjubiläum 2023/24 steht unter dem Leitwort „Mit dem Ohr des Herzens“ hören; es stammt aus der Lebensbeschreibung des hl. Ulrich (vgl. Ulrichsvita I,9). Bischof Ulrich hörte auf die Nöte der Menschen seiner Zeit, er nahm sich der Armen und Kranken an. Er sorgte für eine ordentliche Ausbildung der Priester und baute die durch die damals einfallenden Ungarn zerstörten Kirchen wieder auf.
Regelmäßig machte er sich mit Pferd oder Ochsenkarren auf den beschwerlichen Weg, um die Pfarreien seiner Diözese zu visitieren und der notleidenden Bevölkerung Trost und praktische Hilfe zu bringen. Zahlreiche Pastoralreisen führten ihn dabei auch ins Allgäu – also auch in diese Gegend! „Sein Geist“ ist hier nach wie vor sehr lebendig, nicht zuletzt auch deswegen, weil er über 20 Jahre lang Abt des 752 gegründeten Benediktinerklosters Kempten war. Als 62. Nachfolger des hl. Ulrich möchte ich an ihm Maß nehmen, wenngleich ich weiß, dass es große Schuhe sind, die ich anziehe.
Im gesamten Bistum wollen wir somit intensiv hinhören auf das, was uns der hl. Ulrich heute noch zu sagen hat. Ich würde mir wünschen, dass von diesem Jubiläumsjahr ein starker Impuls für das gesamte Bistum zur Vertiefung des Glaubens und unser Handeln ausgeht. Seien Sie als Pfarreiengemeinschaft, in der Sie eine so glanzvoll rausgeputzte Ulrichskirche mit einer solch exquisiten neuromanischen Ausstattung unter sich wissen, in besonderer Weise zur Beteiligung ermuntert und eingeladen – so folgt auf die „äußere Renovierung“ eine „innere geistliche Runderneuerung“! Und an diese Aussage will ich einen letzten und abschließenden Gedanken anfügen.
Der Advent – eine Zeit der persönlichen Erneuerung
Mit der Adventszeit bereiten wir uns auf Weihnachten vor, an dem wir uns an die Menschwerdung Gottes erinnern: an die Ankunft jenes jungen Triebes aus dem Baumstumpf Isais (vgl. Jes 11,1), wie wir eben in der alttestamentlichen Lesung gehört haben. Mit Jesus Christus beginnt sich die Friedensvision des Propheten Jesaja zu erfüllen. Seine Sehnsuchtsbilder zeichnen einen „paradiesischen Zustand“, der nicht rückwärtsgewandt den Garten Eden im Blick hat. Im Gegenteil: Seine Verheißungen sind wie bei Johannes dem Täufer eine Vision für eine Zukunft, die nicht nur den Menschen, sondern die gesamte Schöpfung umfasst: Wolf und Lamm, Panther und Böcklein, Kalb und Löwe, Kuh und Bärin liegen friedlich nebeneinander; der Säugling spielt unbehelligt vor dem Schlupfloch der Schlange (vgl. Jes 11,6-8). Der adventliche Traum des Jesaja mag als „unerreichbare Phantasterei“ erscheinen, aber er träumte nicht vom Menschenmöglichen, sondern von dem, was von Gott her möglich ist.
Friede und Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität werden sich in der Welt einstellen, wenn das Land „von der Erkenntnis des Herrn“ (Jes 11,9) erfüllt ist. Insofern ist mit dem Kommen Jesu Christi das Himmelreich angebrochen, aber noch nicht vollendet. In diesem Sinne verbindet sich auch ein klarer Handlungsauftrag an eine jede und jeden von uns: Als Menschen sind wir aufgefordert, unser Leben in Gott zu gestalten und unser Handeln nach dem auszurichten, was dem Leben dient!
Das setzt voraus, gerade auch mit Rekurs auf den Ruf des Johannes zur Umkehr, das eigene Leben ehrlich in den Blick zu nehmen. Es erfordert die Bereitschaft, die eigene Schuld, das eigene Versagen, die persönlichen Fehler sich und anderen gegenüber einzugestehen. Meine Bitte an Sie: Nutzen Sie die weitergehende Zeit des Advents, um in sich zu gehen. Fragen Sie sich: Wie diene ich dem Frieden in meinem Umfeld? Beharre ich auf meiner Meinung, meinem Standpunkt oder bemühe ich mich besonnen um einen Kompromiss? Bin ich in einem ehrlichen Gespräch mit mir, meinen Mitmenschen, mit Gott? Höre ich mit dem Herzen hin auf meine Wünsche, Sehnsüchte, meine Berufung, auf die Anliegen, Freuden und Nöte meiner Nächsten, auf den Willen und den Zuspruch Gottes?
So darf ich Ihnen als Pfarrgemeinde zu der gelungenen Instandsetzung der Pfarrkirche und der damit verbundenen Gemeinschaftsleistung von ganzem Herzen gratulieren! Es ist heutzutage keineswegs selbstverständlich, dass eine Gemeinde das Wagnis eingeht und den Mut aufbringt, ein solch großes Projekt so beherzt anzugehen.
Durch Ihre großzügige finanzielle Unterstützung und Ihre außerordentliche Tatkraft in unzähligen ehrenamtlichen Arbeitsstunden haben Sie die Renovierung mitgetragen und ermöglicht. Dieser Kraftakt zeigt, dass Sie gemeinsam viel bewegen können. „Vergelt‘s Gott!“ für alle Mühen, Ihren Einsatz und Ihr damit verbundenes Statement: Die Kirche bleibt im Dorf, sie ist lebendig!
Und wie Sie bei der Renovierung des Kirchenbaus zusammengewirkt haben, achten Sie aufeinander, bestärken Sie sich gegenseitig auch in schwierigen Zeiten, vertrauen sie aneinander und ermutigen Sie sich gegenseitig im Glauben! Ihr Kirchenpatron, der hl. Ulrich, möge Ihnen dabei ein kraftvoller Fürsprecher und ein leuchtendes Vorbild sein – damit der eigene Glaube wächst. Wagen Sie eine geistliche „Runderneuerung“!