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Wichtiges
Katchese von Bischof Bertram zum 3. Advent in der Reihe "Cantate Domino" im Augsburger Dom

Die Geburt Jesu (Lk 2,1-21)

10.12.2022

Am letzten Samstag haben wir uns die Begegnung Mariens mit Elisabet vergegenwärtigt, die zugleich ein gegenseitiges Erkennen der beiden ungeborenen Kinder war. Nachdem Maria ihrer hochschwangeren Verwandten Elisabet bis kurz vor deren Niederkunft beigestanden hatte, kehrte sie nach Nazaret zurück, nun selbst schon im dritten Monat. Wie wird es weitergehen?

An dieser Stelle stützen wir uns auf das Matthäusevangelium, denn jetzt kommt Josef ins Spiel. Auch er erfährt durch einen Engel, allerdings nicht unmittelbar, sondern im Traum (Mt 1,19-23), von Gottes Heilsplan. Seine Zweifel werden zerstreut und er nimmt seine Verlobte Maria zu sich. Als Bräutigam der Gottesmutter und Nährvater Jesu hat er fortan eine zentrale Rolle innerhalb des göttlichen Erlösungswerkes, die wir im Advent vor einigen Jahren näher betrachtet haben.[1]

Nur wenige Monate nach dem Besuch bei Elisabet und Zacharias muss Maria wieder nach Judäa aufbrechen. Kaiser Augustus in Rom will es so und der Statthalter Quirinius ist dafür verantwortlich, dass die Eintragung in die Steuerlisten ordnungsgemäß vonstattengeht Doch diesmal ist der Weg ins Bergland, nach Bethlehem, sehr viel beschwerlicher für die junge Frau. Jeden Tag kann es mit der Geburt soweit sein und ausgerechnet jetzt diese Reise!

Tausende Frauen sind heute in einer ähnlichen, oft noch schlimmeren Situation: Sie fliehen vor Hunger und Dürre, Vergewaltigung, Terror und Tod und haben meist nur eine geringe Aussicht, irgendwo Unterkunft und Sicherheit für sich und ihr Kind zu finden. In den letzten Jahren scheint diese bittere Realität hinter der Weihnachtserzählung wieder deutlicher ins Bewusstsein zu kommen. Wir sehen die Menschen in Not nicht mehr nur abends im Fernsehen, sondern begegnen ihnen auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Behördengängen. Viele Pfarrgemeinden haben ihr soziales Engagement seit 2015 enorm ausgeweitet und es sind Beziehungen gewachsen – auch zu Menschen, die mit Kirche ‚nichts am Hut haben‘, aber Geld, Fähigkeiten, Kreativität und vor allem ihre Zeit zur Verfügung stellen wollen. Pflegen wir solche Kontakte, helfen wir da, wo Hilfe Not tut! Jede und jeder kann etwas dazu beitragen. Geben wir vor allen Dingen jungen Geflüchteten eine Chance auf Bildung und Ausbildung. Sie sollen nicht wertvolle Jahre vergeuden oder deprimiert und desorientiert verbringen und dabei auf dumme Gedanken kommen. Unserer Gesellschaft tun die Freude und Innovation der Jugend gut, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe.

Natürlich braucht es dazu auch gute Rahmenbedingungen, die die Politik bereitstellen muss. Das war schon vor 2000 Jahren so: Kaiser Augustus wusste, ein Staatswesen, erst recht eines von der Ausdehnung des römischen Weltreiches, ist nur funktionsfähig, wenn es auf belastbaren Zahlen aufbaut. Konkret: wenn man weiß, wieviel (steuerpflichtige) Bürgerinnen und Bürger innerhalb der eigenen Grenzen wohnen. Damals herrschte das Recht des Eroberers, das Recht des Stärkeren, und jeder Mensch war sein Leben lang auf Herkunftsfamilie und Stand festgelegt. Aufstiegsmöglichkeiten bot nur der Militärdienst: Nach vollendeter 25jähriger Dienstzeit erhielten die Soldaten das römische Bürgerrecht, konnten eine Familie gründen und sich ansiedeln. Menschenrechte? – ein Fremdwort.

Unterworfene Völker mussten hohe Tributforderungen zahlen, Kriegsgefangene wurden in der Regel versklavt und Sklaven waren nach römischem Recht nicht homines, sondern res – Sachen. Sie gehörten zum Besitz ihres Herrn wie sein Haus, kostbare Einrichtungsgegenstände, Pferde und Ländereien. Natürlich gab es unter ihnen auch Rangabstufungen: hochgebildete Griechen, mit denen der Pater familias, der Hausherr, über den Sinn des Lebens, die Existenz der Götter und das Leben nach dem Tod philosophieren konnte, Ärzte, Erzieher, kenntnisreiche Frauen, die den Haushalt führten und nicht nur in der Küche für ganz neue Geschmackserlebnisse sorgten. Mehrheitlich aber fristeten Sklaven ein hartes Leben in der Landwirtschaft, im Bergbau oder im Steinbruch.

Palästina war zur Zeit Jesu Durchgangsland und Lebensraum für Menschen verschiedener Herkunft, schon allein die römische Besatzungsarmee spiegelte die Kulturvielfalt mindestens zweier Kontinente wider. Das "gelobte Land" dagegen, wie es uns von den Büchern Mose her vertraut ist, blieb hauptsächlich in den Herzen der gläubigen Juden lebendig. Sie zogen daraus die Kraft für den mühsamen und gefährlichen Alltag unter einem unberechenbaren Statthalter, der mit eiserner Hand und meist ohne Pardon den fernen Kaiser in Jerusalem vertrat.

Was es für arme Menschen bedeutete, in solchen Zeiten den Schutz der engeren Heimat zu verlassen, sehen wir an Maria und Josef und wir wissen ja längst: nach der Geburt Jesu konnten sie nicht mehr nach Nazaret zurück. Mit dem Aufbruch nach Betlehem begann also für die kleine Familie eine jahrelange Wanderschaft, die sie bis nach Ägypten und zurückführen sollte. "Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann", wird der erwachsene Jesus von Nazaret einem Manne antworten, der ihm vielleicht etwas zu vollmundig versprochen hatte: "Ich will Dir nachfolgen, wohin Du auch gehst" (Lk 9,57-58).

Inzwischen hat die Psychologie viele Kenntnisse über frühkindliche Traumata gesammelt und ganz sicher können wir davon ausgehen, dass die Geburt Jesu außerhalb eines Hauses und allem Anschein nach vor den Toren Bethlehems Spuren in der Seele des Kindes hinterlassen hat. Bestimmt haben die Eitern ihrem Sohn später auch von den dramatischen Umständen erzählt, unter denen seine Geburt stattfand.

Kein geringerer als der hl. Franz von Assisi (1181/82-1226) hat sich, wie es seine Art war, betend und meditierend intensiv mit dem Geschehen in der Heiligen Nacht auseinandergesetzt. In seinem Weihnachtspsalm für die Vesper am Heiligen Abend, der aus Psalmversen und Evangeliumszitaten zusammengesetzt ist, heißt es bezeichnenderweise: „Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat, * an ihm lasst uns jubeln und frohlocken. Denn das heiligste, geliebte Kind ist uns geschenkt und geboren für uns am Weg und in eine Krippe gelegt worden, * weil es keinen Platz in der Herberge hatte."[2]

Bei dem Heiligen, den bereits die Zeitgenossen aufgrund seiner Stigmatisation einen "zweiten Christus" nannten, schwingt hier neben zärtlichem Mitgefühl auch die Trauer darüber mit, dass Gott seinen Sohn in die Welt sendet, der Schöpfer also bei seiner Schöpfung einkehrt, und dies nicht nur auf Desinteresse, sondern sogar auf Ablehnung stößt. Pointiert ausgedrückt: Die Liebe wird nicht geliebt. Auch der Prolog des Johannesevangeliums hebt auf diesen Widerspruch ab: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Weit erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf" (Joh 1 ,9-11). Schon jetzt mischt sich also großes Bedauern, ja Leid in die Freude. Krippe und Kreuz haben mehr gemeinsam als unsere Weihnachtsund Ostertraditionen auf den ersten Blick vermuten lassen!

Damit ist die Grundmelodie für das Leben und Wirken Jesu vorgegeben, auch im Blick darauf, wer sich von seiner Botschaft, vom Evangelium, ansprechen lässt. Schaf und Ziegenhirten gehörten zu den Randständigen in der damaligen Gesellschaft. Als Nomaden in einer sesshaft gewordenen Kultur genossen sie keinen guten Ruf, waren sie doch Obdachlose im ursprünglichen Sinn, Menschen ohne festen Wohnsitz. Aufgrund ihres Lebens "auf freiem Feld" (Lk 2,8) der Witterung ebenso ausgesetzt wie den wilden Tieren, mussten Hirten sehr wehrhaft sein, gestandene Männer, mit denen sich anzulegen nicht ratsam war. Ausgerechnet sie werden nun von einem Engel heimgesucht "und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie" (Lk 2,9). Der Einbruch göttlichen Lichtes mitten in der Nacht muss für diese Menschen, die sich mit Naturerscheinungen auskannten wie kaum jemand sonst, umwerfend gewesen sein. Dasselbe gilt auch für die Botschaft: Dass der Messias, Christus, als einer der Ihren, arm und schutzlos, geboren wurde – wer hätte sich das träumen lassen? Nur wenn wir uns in die Situation der Hirten hineinversetzen, wird uns bewusst, welche Aufwertung eine solche Nachricht für die gesellschaftlich so unterprivilegierte Personengruppe bedeutete: Der Messias, einer von Ihnen! Die Hirten zögern nicht, der Aufforderung des Engels zu folgen, um sich von der Richtigkeit dieser frohen Botschaft zu überzeugen, und werden damit zu den ersten Evangelisten und Aposteln. Sie sind namenlose Wegbereiter der Herzen, Vorläufer des Gotteskindes, lange bevor es selbst in der Lage ist, seinen Verkündigungsauftrag zu erfüllen.

Auch für Maria und Josef muss die nächtliche Begegnung mit den hoffnungsfrohen Hirten Trost und Bestätigung ihres eigenen Gottvertrauens gewesen sein – eine wahre Sternstunde, von der sie in Zeiten der Unsicherheit und des Zweifels zehren konnten. Ausdrücklich heißt es von der Gottesmutter, sie "bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen" (Lk 2,19). Wer in sich die Dankbarkeit für die Glücksmomente in seinem Leben wachhält, vermag auch anderen Halt und Orientierung zu geben. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Wort, das unser Herr Jesus Christus vom Kreuz herab zu Johannes sagte, seine tiefe Bedeutung: "Siehe, deine Mutter" (Joh 19,27)!

Ich lade Sie herzlich ein: Nehmen Sie das Angebot des sterbenden Heilandes an und adoptieren auch Sie diese Frau, die so durchscheinend ist auf ihren Sohn hin, als ihre Mutter. Unzählige Christinnen und Christen haben dies seither getan. Viele Heilige, Frauen wie Männer, folgten ihrem Rat: "Was er Euch sagt, das tut!" (Joh 2,5), und richteten die innere Kompassnadel auf Christus aus. Sie ist diejenige, die Schmerzen lindert und wiederaufrichtet, was daniederliegt, die Alleviatrix, wie sie der hl. Albert der Große einmal nannte. Mit jedem "Gegrüßet seist Du Maria" können wir sie um ihre Fürbitte anflehen.

[1] Vgl. "Geht zu Josef". Dompredigten von Dr. Bertram Meier im Advent 2017. Blaue Reihe Nr. 60

[2] Franziskus-Quellen (= FQ) Die Schriften des heiligen Franziskus. Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden im Auftrag der Provinziale der deutschsprachigen Franziskaner, Kapuziner und Minoriten hgg. v. Dieter Berg und Leonhard Lehmann et alii. Butzon & Bercker, Edition T Coelde. Kevelaer. 2009 , hier: S 30