"Zeichen der Zusammengehörigkeit"
Liebe Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und diakonalen Dienst, liebe Verehrerinnen und Verehrer des heiligen Bischof Ulrich, liebe Schwestern und Brüder, große Ereignisse werfen nicht nur ihren Schatten voraus, sondern leuchten auch noch lange nach.
Dies gilt doppelt für das Jubiläum zu Ehren unseres ersten Bistumspatrons, des heiligen Bischofs Ulrich, das wir 2023/2024 im Gedenken an 1.100 Jahre Bischofsweihe und 1.050 Jahre nach seinem Tod gefeiert haben. Schon in der Vorbereitung fragte ich mich daher: Was können wir schaffen, das die Jubiläumsfeierlichkeiten überdauert und noch zukünftigen Generationen anspornt, sich dem heiligen Ulrich in persönlichen Nöten und Sorgen anzuvertrauen?
Mit dem neuen Ulrichsfenster nach dem Entwurf von Celia Mendoza dürfen wir heute ein Kunstwerk segnen, das in der Formensprache und Farbigkeit des 21. Jahrhunderts zugleich eine Verneigung ist vor dem Leben des großen Heiligen am Ende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt.
Denn die vier Fensterbahnen erzählen in Symbolen von vier zentralen Szenen aus der Vita Sancti Uodalrici: So erkennen wir in den drei fliederfarbenen Quadraten die Klause der heiligen Einsiedlerin Wiborada von St. Gallen, bei der Ulrich als junger Mann Hilfe in einer Lebensentscheidung suchte; das Ulrichskreuz und der Fisch als Attribut des Heiligen, den man traditionell bei Hochwasser und Flutkatstrophen angerufen hat, sind ebenso zu finden wie der Hinweis auf seine intensive Predigttätigkeit und die Feier der heiligen Liturgie. Gefüllte Almosenschalen nehmen Bezug auf Bischof Ulrichs caritative Fürsorge in einer von Krieg, Plünderung und großer materieller Not geprägten Zeit. Besonders nahm er sich daher derjenigen an, die gänzlich auf Unterstützung angewiesen waren, wie jenes ausdrücklich mit seinem Eigennamen Ruozo in die Geschichte eingegangenen Querschnittgelähmten, dem, wie es wörtlich in der Ulrichsvita heißt, „eine Wohnstätte auf dem Friedhof des Klosters Kempten nach Art eines über die Erde erhobenen Bettes erbaut worden war“ (Vita I,26,97). Noch kurz vor seinem eigenen Tod ließ der 83jährige Ulrich diesem Armen, den er oft besucht hatte, eine Kleiderspende zukommen – eine Geste, die schon seinen Biografen Gerhard an die Worte Jesu erinnerten: „Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,36). Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie im unteren Teil des Fensters deshalb stilisierte Gräber als Reflex auf diese überlieferte Szenerie entdecken!
Bis heute verbinden wir mit dem heiligen Ulrich jedoch hauptsächlich die Befreiung von Krieg und Gewalt: Schon Weihnachten 954 hat er zusammen mit Bischof Hardpert von Chur bei Tussa, dem heutigen Illertissen, einen gefährlichen Vater-Sohn-Konflikt zwischen König Otto und seinem erstgeborenen Sohn Luidolf friedlich beendet, obwohl sich die feindlichen Heere schon kampfbereit gegenüberstanden – im Fenster dargestellt durch dunkelfarbene Pfeile. Dieser intern errungene Friede bildete schließlich die wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Jahr darauf, im August 955, die vereinigten Streitkräfte den feindlichen Ungarn in der Lechfeldschlacht überlegen sein und fortan die jahrelangen Überfälle aus dem Osten endlich der Anbahnung einer friedlich-konstruktiven Nachbarschaft weichen konnten.
Seit dem Überfall des russischen Präsidenten auf den souveränen Staat der Ukraine und aufgrund der sich weltweit dramatisch verändernden geopolitischen Lage wissen wir heute wieder mehr als früher, wie kostbar und angefochten der Friede zwischen Völkern und Staaten ist!
Friede stellt sich ja nicht von allein ein und er ist auch nicht einfach ein Selbstläufer – Friede will errungen werden, immer wieder neu, zusammen mit Menschen, die sich Hass und Hetze, Verleumdung und Ungerechtigkeit in Wort und Tat buchstäblich entgegen stellen! Machen wir uns keine Illusionen: Das kostet Mut und geht garantiert nicht ohne Blessuren ab – alle unter Ihnen, die sich gesellschaftlich engagieren, könnten zu diesem Thema sicher ein eigenes Erlebnis beisteuern.
Und dennoch: Wenn es uns nicht bald gelingt, uns als Zivilgesellschaft zusammenzuschließen und den Angreifern von rechts und links, von oben und unten, aus welcher Richtung auch immer, Paroli zu bieten, dann wird unsere Gleichgültigkeit und Ignoranz wie eine stumme Aufforderung zum Überschreiten roter Linien wirken und wir werden zu scharfer Gegenwehr gezwungen sein.
Deshalb ist es mir persönlich so wichtig, dass dieses Ulrichsfenster nicht nur eine sichtbare Erinnerung an historische Zeiten ist, sondern
zugleich
immer mehr zum Gemeinschaftswerk, zu einem deutlichen Zeichen unserer Zusammengehörigkeit im Bistum Augsburg wird. Denn nicht nur die acht Künstlerinnen, die sich dem Wettbewerb stellten, die Mitglieder der Jury und das Team der Glaswerkstätte Derix in Taunusstein, das zusammen mit Frau Mendoza den Siegerentwurf Wirklichkeit werden ließ, sondern Sie alle, die ideellen und finanziellen Unterstützer, sind Teil des Gesamtkunstwerkes.
Von dieser Stelle aus möchte ich deshalb erneut allen Sponsorinnen und Sponsoren, den Stiftungen und den Einzelpersonen, aber bereits auch jenen, die sich noch in den nächsten Tagen und Wochen entscheiden, einen Beitrag zur Finanzierung des Fensters zu geben, herzlich danken: im Namen des Summus Custos, des Domkapitels und ganz persönlich als 62. Nachfolger des heiligen Ulrich - dafür, dass Sie aktiv mithelfen, diese Bischofskirche, unseren altehrwürdigen Hohen Dom, das Stein gewordene Zeugnis unseres Gottvertrauens und der Hoffnung in die mächtige Fürsprache aller Bistumspatrone, mitzugestalten und eine lichtvolle Spur zu hinterlassen. „Denn wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz“, wie die Dichterin Hilde Domin in ihrem Gedicht „Die Heiligen“ konstatierte – deshalb braucht gerade auch unsere Zeit den Einsatz für die Kunst, die Schönheit und die absichtslose Liebe!
Sind wir doch alle dazu berufen, wie es im ersten Petrusbrief hieß, „Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes (zu sein), jeder mit der Gabe, die er empfangen hat! Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht. So wird in allem Gott verherrlicht durch Jesus Christus“ (1 Petr 4,10f.). – Heute, Liebe Schwestern und Brüder, ist die Stunde der Künstlerinnen, die mit Licht und Farbe, mit Form und Gestaltung arbeiten, und morgen dürfen wir dem vielstimmigen Chor der Augsburger Domsingknaben lauschen – beim Benefizkonzert zugunsten der Finanzierung des Ulrichsfensters - alles zu Ehren Gottes und seiner Heiligen! Amen.