„Der Friede beginnt im eigenen Herzen.“
Liebe Schwestern und Brüder, das erste „Zeichen“, das der Evangelist Johannes erzählt, um uns Jesus Christus als den Sohn Gottes vorzustellen, ist unmittelbar mit einem Fest verbunden: mit einer Hochzeitsfeier in der Stadt Kana von Galiläa. Die Mutter des Herrn, seine Jünger und er persönlich waren dazu eingeladen. Sicher ein freudiger Anlass zum Essen, Trinken, Singen und Tanzen in Gemeinschaft.
Einige zu fromme Menschen mögen ihre Schwierigkeiten mit der Lebensfreude haben, Jesus Christus aber nicht. Das Christentum ist keine Religion der Trübsal und der mürrischen Gesichter. Die Freude ist nicht verboten, Gott bewahre; im Gegenteil, sie ist der Kern unserer Verkündigung. Unser Glaube ist eine frohe Botschaft, eine Einladung zur echten und wahren Freude, die das Leben in seiner Ganzheit umfasst. Bei Jesus können wir sie finden.
Er möchte die Freude der Menschen keinesfalls bremsen, sondern stärken. Und dies zeigt sich auch in der heutigen Lesung, wo von einem Fest die Rede ist, bei dem etwas Peinliches passiert: Der Wein geht aus. Haben sich die Verantwortlichen für die Vorbereitungen verkalkuliert? Haben die Gäste zu schnell zu viel getrunken? Im Text wird keinem direkt die Schuld zugewiesen. Man kann sich aber vorstellen, dass Verlegenheit und Frustration die gute Stimmung für eine Weile überschatteten. Diejenigen, die nichts mehr anzubieten hatten, haben sich bestimmt unwohl gefühlt.
Menschen jeder Zeit sind mit Situationen konfrontiert, wo materielle und seelische Ressourcen ausgeschöpft sind. Es fehlt manchmal an Geld, Energie oder Mut. Der innere Akku ist leer, man fühlt sich kraftlos und nutzlos oder aufgebraucht wie die Weinvorräte in Kana. Gibt es da einen Ausweg, oder vergiftet das schleichende Gefühl der Hilflosigkeit das ganze Leben?
Beim Hochzeitsfest in Kana ist es Maria, die ihren Sohn auf das Problem aufmerksam macht: „Sie haben keinen Wein mehr“ (Joh 2,3), sagt sie ihm, um eine überraschend schroffe Zurückweisung einzufangen: „Frau, was willst du von mir?“ (Joh 2,4) Maria lässt sich aber nicht entmutigen. Sie kennt ja ihren Sohn und sagt den Dienern: „Was er [d. h. Jesus] euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5) Doch warum engagiert sich Maria so sehr für dieses Fest? Vielleicht können die damaligen jüdischen Hochzeitsbräuche ihre Intervention erklären, denn die Gäste waren nicht nur zum Hinsetzen und Mitfeiern eingeladen. Die einzelnen Familien sollten vielmehr Geschenke mitbringen oder kümmerten sich um Essen und Trinken für die Hochzeitsgesellschaft. So dürfen wir vermuten, dass sich die Familie um Jesus verpflichtet hatte, für ausreichend Wein zu sorgen.
Auf jeden Fall merkt Maria die Not der Festgemeinschaft und wendet sich an denjenigen, der die Lösung bieten kann. Dadurch vermittelt sie Sicherheit, freilich nicht nur in Kana, sondern im zweitausendjährigen Leben der Kirche. Genau hingesehen könnte man sagen: Maria ist durch ihre Intervention ein Risiko eingegangen: Hätte Jesus keine Lösung beim Hochzeitsfest anbieten können, dann hätten sich seine Mutter, die Jünger und nicht zuletzt er selbst komplett blamiert und noch mehr Frustration erzeugt. Doch Marias Weg ist derjenige des Vertrauens, das nicht enttäuscht und umso mehr Früchte trägt.
Denn das Wunder geschieht tatsächlich. Zwar stellt Jesus gegenüber Maria fest: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Joh 2,4) Doch er weiß auch, dass alles seine Stunde hat (vgl. Koh 3,1-8), seinen Kairós. Er ist nicht voreilig, er möchte dem Willen des Vaters nicht ungestüm zuvorkommen. Daraus können wir auch für unsere Christusbeziehung lernen: Jesu Rolle ist nicht die des Lückenbüßers oder mechanischen Korrektors unserer Versäumnisse und Fehleinschätzungen. Jesus ist nicht der Automat, an den wir uns wenden, um rasch Lösungen für unsere kleinen und großen Probleme zu bekommen. Mit seiner Kraft will der Herr die Menschen weder erschrecken noch überfordern. Seine Wunder geschehen nicht zum Selbstzweck. Er ist nicht derjenige, der demonstrativ seine Macht offenbart; vielmehr stellt er sie in den Dienst der Menschen. In Kana verwandelt er das Wasser in Wein, um die Freude der frisch Vermählten und Gäste zu stärken. Freude vertieft die Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft mit tiefen Wurzeln ist auch Garantie für den Frieden und Jesus Christus ist der „Fürst des Friedens“ (Jes 9,5).
Aber, liebe Schwestern und Brüder, wie kann man gerade heute von Festen und Frieden reden, wenn zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen sich vor unserer Haustüre abspielen? Wer wünscht sich in Kriegsgebieten Wein, wenn nicht einmal einige Tropfen Wasser vorhanden sind? Wer kann denn heute im Heiligen Land, im Land der Hochzeit von Kana, feiern? Da, wo Tische mit allen möglichen Speisen bereitstanden, herrscht heute quälende Hungersnot. Über zwei Millionen Menschen im Gazastreifen hungern: zum Spielball geworden zwischen der Hamas und der israelischen Armee. Mit Blick auf die Zukunft müssen wir sowohl dem Sicherheitsbedürfnis jüdischer Israelis als auch dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser Rechnung tragen. Daher setzt sich der Heilige Stuhl im Nahen Osten für eine Zweistaatenlösung ein. Ich denke außerdem an die vielen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Länder, ihre Armut und Konflikte. Nicht zu vergessen die Ukraine, die seit über drei Jahren unter einem schrecklichen Angriffskrieg leidet. In vielen Orten auf der Welt sind nicht nur außerordentliche Feste wie Hochzeiten, sondern auch kleine Freuden des Lebens fast undenkbar. Jeder Krieg ist ein Versagen der Menschheit und der Menschlichkeit, mit dem wir uns nie abfinden dürfen.
Ich erinnere an die Worte des Propheten Jeremia: „Den Schaden meines Volkes möchten sie leichthin heilen, indem sie sagen: Frieden! Frieden! - Aber da ist kein Friede. Schämen müssten sie sich, weil sie Gräuel verübt haben. Doch sie schämen sich nicht; Scham ist ihnen unbekannt.“ (Jer 6,14-15)
In der Friedensstadt Augsburg, die in diesem Jahr das 375. Jubiläum des Hohen Friedensfestes begeht, wissen wir, dass der Friede - dieses so kostbare und so zerbrechliche Gut - gründliche Arbeit voraussetzt. Der Friede zwischen Kirchen, Religionen, Nationen, der Friede in der Gesellschaft ist zwar letztlich ein Gottesgeschenk, aber keine Selbstverständlichkeit. Der Friede braucht unsere aktive Mitwirkung. Engagieren wir uns als Baumeister des Friedens! Und vergessen wir nicht: Der Friede beginnt im eigenen Herzen. Was hilft es, vom großen Frieden zu träumen, wenn wir im Kleinen uneins und verfeindet sind?
Der Friede muss gestaltet werden. Er braucht weniger große Worte, sondern primär wirkungsvolle Taten, transparente und solide Strukturen, die eine rechtzeitige Bewältigung von Krisen ermöglichen, Vertrauen stiften, Anlass zur Begegnung und Freundschaft bieten. Oberflächliches Harmoniebedürfnis ist nicht zukunftsweisend. Ein konstruktives Miteinander in gegenseitiger Verantwortung ist das Gebot der Stunde. Dann ist Frieden keine Utopie.
Treffend ermutigt uns das Thema des diesjährigen Friedenfestes dazu, Frieden zu riskieren. Der Friede ist ein Risiko, weil er in uns beginnt. Bin ich mit mir selber in Frieden? Kann ich die Anderen in ihrer Andersheit aushalten und mich ihnen gegenüber öffnen? Bin ich bereit, mich und meine Geltungsansprüche zu relativieren, um den Anderen Platz einzuräumen? Bin ich bereit, den Preis für meinen Einsatz für den Frieden zu bezahlen? In der Tat gibt es Frieden nicht gratis, er kostet etwas: die Verständigung auf einen Kompromiss und einen Vertrauensvorschuss, nicht selten entgegen der inneren Einstellung. Mag sein, dass uns Menschen deshalb der Krieg näherliegt; ihn vom Zaun zu brechen ist einfacher als ihn zu beenden.
Dagegen braucht es viel Mut und Fantasie, um Frieden durchzuhalten, gemeinsam Problemlösungen zu erarbeiten und die Zukunft zu gestalten. „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens!“ (Eph 4,2-3) sagt uns der Epheserbrief. Diese Botschaft hat fast 2.000 Jahre später nichts an Aktualität verloren. Sie gilt im Großen wie im Kleinen.
Ich lade dazu ein, „Frieden zu riskieren“, wie das Motto dieses Jubiläums lautet, und damit auch das Risiko des Glaubens einzugehen. Die Kirche ist das große Versöhnungsprojekt Gottes. Wenn wir auf Jesus Christus zugehen, gehen wir aufeinander zu. Wir sind alle Gäste auf dieser Erde, „wir haben hier keine bleibende Stadt“ (Hebr 13,14). Doch wir sind nicht heimatlos und Gäste ohne Gastgeber: Jesus Christus, der sich um das Wohl der Hochzeitsgäste von Kana gekümmert hat, ist auch für uns der entgegenkommende Gott, der gastfreundliche Hausherr. Damals hat er das Wasser nicht bloß in Wein, sondern in guten Wein verwandelt. Das Johannesevangelium spricht von 600 Litern, was schon den Kirchenvater Hieronymus gewundert hat: Haben denn die Hochzeitsgäste tatsächlich 600 Liter Wein getrunken? Nein, erwidert der große Lehrer der lateinischen Kirche, wir trinken noch heute davon. Sind wir bereit, heute noch den Wein Gottes zu trinken und uns selber von ihm zu Werkzeugen seines Friedens verwandeln zu lassen?
Liebe Schwestern und Brüder,
beim Grußwort auf der Benediktionsloggia des Petersdoms gleich nach seiner Wahl sagte Papst Leo XIV.: „Der Friede sei mit euch allen! (…) dies ist der erste Gruß des auferstandenen Christus, des Guten Hirten, der sein Leben für die Herde Gottes hingegeben hat. Auch ich wünsche mir, dass dieser Friedensgruß in eure Herzen eingeht, eure Familien erreicht, alle Menschen, wo immer sie auch sind, alle Völker, die ganze Erde. Der Friede sei mit euch! Dies ist der Friede des auferstandenen Christus, ein unbewaffneter und entwaffnender Friede, demütig und beharrlich.“[1]
Ich bin mir sicher, dass die Worte eines Papstes, der sein Pontifikat mit einer Friedensbotschaft beginnt und schon in den ersten Monaten den Frieden ins Zentrum seiner Tätigkeit rückt, in der Friedensstadt Augsburg gut ankommen. Möge Christus uns stärken, damit wir seine Friedensbotschaft erfolgreich verkünden, umsetzen und leben.