„Mit den Füßen auf der Erde, mit dem Herzen im Himmel“
Lieber Weihekandidat Br. Immanuel, liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst, liebe Schwestern und Brüder im Herrn! „Piedi per terra e cuore in cielo“ – dieses bekannte Zitat des hl. Don Bosco möchte ich an den Beginn meiner heutigen Predigt stellen. Die wörtliche Übersetzung lautet: „Mit den Füßen auf der Erde, mit dem Herzen im Himmel“.
Ein wunderbarer Gedanke, meine ich, über den nachzusinnen sich gerade an einem solchen Festtag der Priesterweihe anbietet, über die wir uns alle von Herzen freuen dürfen.
Geboren am 24. November 1981 in Moncalieri bei Turin liegt die ursprüngliche Heimat unseres Weihkandidaten nur wenige Kilometer entfernt vom Geburtsort Don Boscos, der sich in seiner Pädagogik ausdrücklich auf die Gastfreundschaft in der Regel des hl. Benedikt bezieht. So schließt sich der Kreis zur Erzabtei St. Ottilien und der benediktinischen Gemeinschaft, zu der Bruder Immanuel gehört und die nach der Ewigen Profess ein Leben lang seine geistliche Familie darstellt.
Der Weg dahin führte über mehrere Stationen und es ist immer wieder spannend für mich zu hören, auf welche Weise Gott Menschen beruft. Da ist im Alter von acht Jahren zunächst der Umzug von Italien nach Baden-Württemberg - nahe Stuttgart, wo Bruder Immanuel nach eigenen Angaben eine sorglose Kindheit erlebte. Bereits in dieser Zeit ließen verschiedene Vorbilder eine innere Sehnsucht nach einem geistlichen Leben in ihm aufsteigen. Als Jugendlicher interessierten ihn dann zunehmend philosophische und theologische Fragestellungen. Nach dem Studium für Realschullehramt folgten zehn Jahre als Lehrer an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten, doch ließen ihn jene Gedanken an eine geistliche Berufung nicht los. Sie selbst haben es später in einem Interview mit den schönen Worten beschrieben: „Immer wieder ‚klopfte‘ der Herr an mein Herz (…)“[1].
Heute nun ist der Tag, an dem Sie dem Herrn ganz die Türe Ihres Herzens öffnen und ihn einladen, dass er in Ihnen lebt und wirkt. Was das konkret heißt, wird sich im Laufe Ihres Lebens zeigen, denn der Geist wirkt bekanntlich auf unterschiedliche Weise in den Menschen (vgl. Joh 3,8). In jedem Fall aber können die heutigen Tageslesungen Ihnen Richtschnur für Ihre Berufung sein, da sie beide Aspekte des eingangs zitierten Wortes von Don Bosco auf wunderbare Art veranschaulichen: „Mit den Füßen auf der Erde, mit dem Herzen im Himmel“. Je einen Gedanken dazu möchte ich Ihnen im Folgenden mit auf den Weg geben.
1. „Mit den Füßen auf der Erde“
Tatsächlich spielen Füße sowohl in der Erzählung aus dem Alten Testament als auch im Evangelium eine zentrale Rolle. Wir haben vom ungewöhnlichen Besuch jener drei Männer gehört, die eines Tages bei Abraham erschienen (vgl. Gen 18,1f.). Als Theologen sehen wir darin nahezu reflexartig ein Bild für die Trinität, aber auch, wenn die Exegeten uns vor dieser womöglich vorschnellen Interpretation warnen, dürfen wir es mit Sicherheit als eine Begegnung mit Gott deuten. Dafür gibt es mehrere Hinweise, besonders das Verhalten Abrahams, der sofort aufspringt, um den Gästen aufzuwarten und für sie zu sorgen. Offensichtlich konnte er innerlich spüren, dass der Herr selbst zu ihm gekommen war (vgl. Gen 18,1). Gastfreundschaft an sich ist im Orient nichts Besonderes, sondern über Jahrhunderte gelebte Tradition. Die auffallend dienende Haltung Abrahams aber, sowie die ruhige, nahezu herrschaftliche Art der Gäste zeigt ein klares Hierarchieverhältnis an. Es geht nicht nur darum, allerlei Stärkungen aufzutischen, sondern Abraham lässt auch Wasser holen, damit sich die drei Männer die Füße waschen können (vgl. Gen 18,4).
Haben Sie an dieser Stelle genau hingehört? Im Gegensatz zu Jesus, der sich später selbst herablässt, um seinen Jüngern die Füße zu waschen, sagt Abraham wörtlich: „Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen.“ (Gen 18,4) Dies macht deutlich, dass der Stammvater Israels noch nicht durch die Schule Jesu gegangen ist, der allen Gläubigen aufgetragen hat, sich selbst zu erniedrigen und anderen zu dienen als Ausdruck von Demut und Nächstenliebe. Der Herr, dem alle Macht auf Erden gegeben ist, fällt aus freiem Willen auf die Knie und wäscht sinnbildlich uns allen die Füße, weil er uns ein „Beispiel“ (Joh 13,15) geben wollte, nach dem wir handeln sollen.
Es ist schön, dass Sie, lieber Br. Immanuel, diesen Auftrag als Leitwort für Ihre Priesterweihe ausgewählt haben. Denn ich denke, dass man die Worte des hl. Don Bosco, „mit den Füßen auf der Erde“, auch dahingehend verstehen kann, dass gerade wir Priester uns niemals als etwas Besseres fühlen dürfen, und schon gar nicht andere Menschen aufgrund unseres Standes von oben herab behandeln dürfen. Denken wir immer daran, wenn wir die priesterlichen Festgewänder anziehen, dass der Sohn Gottes seine eigenen Kleider ablegte und sich nur noch mit einem Leinentuch umgürtete, gleichsam um uns zu zeigen, dass das Weihesakrament in erster Linie eine Berufung zum Dienst an Gott und den Menschen ist.
„Dreckige Füße“ gibt es genügend in der Welt. Wir sehen die Unvollkommenheiten unserer Mitmenschen, hier im Kloster vermutlich auch die der Mitbrüder, aber sehen wir auch unsere eigenen? Der hl. Augustinus hat das heutige Evangelium sehr weise gedeutet, wenn er einst davon sprach, dass man die Fußwaschung verstehen kann als „einander unsere Verfehlungen bekennen, einander vergeben und wegen unserer Vergehen füreinander beten“[2].
Die Geschichte der drei Männer und Abrahams kann außerdem in Erinnerung rufen, dass Gott uns jederzeit, ganz plötzlich und unscheinbar in Menschen begegnen kann, die uns vielleicht komisch oder skurril vorkommen. Sind es nicht gerade jene Leute, die schmutzig oder derb auftreten, die uns unsympathisch sind oder auf irgendeine Weise auf die Nerven gehen, die den Grad unserer Nächstenliebe in besonders herausfordern? Fußwaschung meint ganz sicher nicht, vor der Meinung anderer auf die Knie zu gehen oder sich selbst völlig zu vergessen, sehr wohl aber, mit allen, die uns im Alltag begegnen, herzlich umzugehen und ihnen Respekt zu zollen. Für uns Priester stellt sich darüber hinaus immer die Frage, ob und inwiefern diese Menschen auch nach geistlicher Unterstützung suchen. Drängen wir uns dabei nicht auf, aber bieten wir jedem unsere Begleitung an. Handeln wir nicht übergriffig, aber signalisieren wir stets unsere Hilfsbereitschaft. Verkünden wir die Botschaft Gottes allen, die sie hören wollen, aber leben wir sie auch selbst - durch konkrete Taten der Nächstenliebe, wie es uns der Herr vorgelebt hat. Das kann Fußwaschung in unserer heutigen Zeit bedeuten.
Gerade in den Klöstern wurde dieser Grundsatz über Jahrhunderte gelebt, nicht zuletzt bei der Aufnahme von Gästen. Deshalb bin ich als Bischof überaus dankbar für die vielfältige monastische Präsenz und Spiritualität in unserem Bistum. Wir brauchen in Kirche und Gesellschaft Frauen und Männer, die wie der hl. Benedikt auf Gottes Anruf hören, und all ihre Fähigkeiten einbringen, damit möglichst viele Leute erfassen können, welch wunderbaren Mehrwert ein Leben mit Gott hat.
Dies führt mich zum zweiten Gedanken, rund um die Worte: „Mit dem Herzen im Himmel“.
2. „Mit dem Herzen im Himmel“
Es klingt fast ein bisschen kitschig, und doch steckt sehr viel in diesem Bild. „Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ (Lk 12,34), ruft uns Jesus zu; und er lehrt uns, dass wir an erster Stelle das Reich Gottes suchen sollen. Alles andere wird uns dazugegeben.
Für Sie, lieber Weihekandidat, und uns alle, kann dies Auftrag und Ermutigung zugleich sein. Die Priesterweihe ist ja immer auch ein Anfang, der mit Fragen verbunden ist: Wie verstehe ich mich als Priester? Was erwarten die Menschen von mir? Was erwarte ich von mir? Und hoffentlich auch die Frage: Was erwartet Gott von mir?
Wir haben es schon gehört, wie wir uns gegenüber unseren Mitmenschen verhalten sollen. Doch darf sich christliche Nachfolge niemals nur auf Moral und Ethik beschränken. Als Priester sind wir vor allem Geistliche, die – bevor sie anderen davon verkünden – erst einmal selbst gut mit Gott in Berührung sein müssen. Nur wenn wir unsere eigene Gottesbeziehung pflegen, können wir anderen gute geistliche Begleiter sein.
Auch hier hilft uns die Szene der Fußwaschung weiter. Jesus trägt seinen Jüngern nämlich nicht nur auf, seinem Beispiel zu folgen und anderen zu dienen, sondern er verbindet sein Handeln mit der Verheißung, dass sie nur dadurch „Anteil“ (Joh 13,8) an ihm und seiner Göttlichkeit erlangen. Er selbst ist es also, der uns reinigen will, damit wir frei sind, um für andere da zu sein. Das Bild vom „Bad“ (Joh 13,10) im Evangelium wurde später gern mit der Taufe in Verbindung gebracht, und wenn sie exegetische Kommentare dazu lesen, finden sie eine Diskussion darüber, wie sich diese nahezu sakramentale Deutung zum eher moralischen Auftrag des Dienens verhält. Die Lösung scheint mir relativ einfach und leicht verständlich zu sein: Wer in Gemeinschaft mit Jesus lebt, dessen Verhalten wird dadurch geprägt, und umgekehrt: Wer so handelt wie Jesus, der bleibt in Verbindung mit ihm.
„Mit den Füßen auf der Erde, mit dem Herzen im Himmel“ – diese Punkte könnte man demnach auch umdrehen: „Mit dem Herzen im Himmel, mit den Füßen auf der Erde“. Entscheidend ist, dass wir uns als Priester weder weltabgewandt in vermeintlich frommer Weise abschotten noch versuchen, der Welt im Sinne unserer Mitmenschen um jeden Preis zu gefallen und das geistliche Leben dabei zu vernachlässigen. Viele Heilige der Kirchengeschichte zeigen uns, wie das gelingen kann, und auch der hl. Benedikt verband in seiner Regel die Fußwaschung als Liebesdienst bei der Aufnahme von Gästen unmittelbar mit dem Gebet. Ich zitiere aus Kapitel 53: „Nach der Fußwaschung beten sie den Psalmvers: ‚Wir haben, o Gott, deine Barmherzigkeit aufgenommen inmitten deines Tempels.‘“
So möchte ich Sie, lieber Br. Immanuel, am heutigen Tag dazu ermuntern, Ihren zukünftigen Dienst als Priester gemäß der benediktinischen Tradition zu verstehen, betend und arbeitend das Lob Gottes zu verkünden. Vertrauen Sie darauf, dass der allmächtige Herr Ihnen mit seinem Heiligen Geist zur Seite stehen wird - auch und gerade, wenn Sie sich einmal schwach und erschöpft fühlen. Ein neuer „Diener des Herrn“ wird uns heute geschenkt. Möge er allezeit den Segen spüren, den Jesus nach der Fußwaschung denjenigen verheißen hat, die seinem Vorbild folgen (vgl. Joh 13,17).
[1] https://www.augsburger-allgemeine.de/landsberg/ewige-profess-erzabtei-st-ottilien-freut-sich-ueber-einen-neuen-mitbruder-108870886, 23.09.2025.
[2] Thomas von Aquin: Catena Aurea. Kommentar zu den Evangelien im Jahreskreis, St. Ottilien 2012, 141.