Ansporn zu christlichem Zeugnis
Sieben Jahre ist es her, dass der damalige Schondorfer Kirchenpfleger und langjährige BR-Journalist Marius Langer seinen persönlichen Traum in diesen Worten zusammenfasste: „Einmal in der St. Anna-Kirche Reliquien der beiden seligen Märtyrerpriester zu haben, als Stätte der Andacht und als Zeichen für die Menschen in Boves.“ Nun wurde dieser geradezu prophetische Satz Wirklichkeit und ein weiteres Kapitel europäischer Versöhnungsgeschichte geschrieben.
Der Festgottesdienst mit Bischof Bertram anlässlich der Übergabe und Einsetzung der Märtyrerreliquien an diesem Sonntagabend in Schondorf war nach den verheerenden Ereignissen im Frühherbst vor 80 Jahren alles andere als selbstverständlich. Dessen war sich auch Pater Xavier bewusst, der als Leiter der Pfarreiengemeinschaft Utting-Schondorf die zahlreichen Gläubigen in der Pfarrkirche Heilig Kreuz begrüßte, allen voran Dutzende italienische Frauen und Männer aus dem 10.000-Einwohner-Ort nahe der italienisch-französischen Grenze, ohne deren Initiative und Bereitschaft dieser Tag ganz anders verlaufen wäre.
Ein Rückblick: 19. September 1943. Soldaten der Waffen-SS begehen während des Zweiten Weltkriegs im piemontesischen Boves ein Massaker an der Zivilbevölkerung. Am Abend dieses blutigen Tages sind 21 Bewohner des Ortes tot. Zu den Opfern gehören auch Ortspfarrer Don Giuseppe Bernardi und sein Kaplan Don Mario Ghibaudo. 70 Jahre später schickt Don Bruno Mondino, Pfarrer in Boves, einen Brief an Monsignore Heinrich Weiß, seinen damaligen Amtsbruder in Schondorf. Von der Heimsuchung durch deutsche SS-Einheiten ist da die Rede und davon, dass der befehlshabende Offizier auf dem Friedhof von St. Anna in Schondorf begraben sei.
Die Folgen dieses aufwühlenden Schreibens waren ein reger Austausch zwischen den beiden katholischen Pfarreien und gegenseitige Besuche. Vertrauen wächst, Freundschaften entstehen. Über die kirchliche Initiative hinaus kamen so auch die beiden Kommunen miteinander ins Gespräch. Und so entstand aus vielen kleinen Schritten einer historischen Aufarbeitung in der Zwischenzeit ein Freundschaftsabkommen der zwei etwa 700 Kilometer voneinander entfernten Orte. Für Bischof Bertram sei dies „eine Frucht des Wirkens der göttlichen Barmherzigkeit“, wie er in seiner Predigt betonte. „Über Ländergrenzen hinweg ist Gemeinschaft gewachsen, verklammert in Verantwortung für die schmerzvolle Geschichte und im Glauben an Gottes Versöhnungstat.“
Die Übertragung der Reliquien der Boveser Glaubenszeugen, die beide im vergangenen Oktober seliggesprochen wurden, in die Schondorfer St. Anna-Kirche sei ein Zeichen inniger Verbundenheit, so der Bischof. Er bedankte sich von ganzem Herzen, wie er es bereits bei der Seligsprechung tat, insbesondere bei der anwesenden Delegation aus Boves mit ihrem Don Bruno für ihren Mut, das „goldene Licht“ (Papst Benedikt XVI.), das vom Martyrium ausgeht, als Kraft der Liebe, die den Hass und die Gewalt überwindet, zum Leuchten zu bringen.
Sichtbar zum Ausdruck kam das an diesem Tag in der Überreichung des Reliquiars, in das sterbliche Überreste der beiden seligen Märtyrerpriester eingefasst waren: „Es ist ein kostbares Geschenk, das Sie der Pfarreiengemeinschaft Schondorf machen. Ein ganz großes und herzliches Vergelt‘s Gott dafür! Ich danke allen, die sich für Frieden und Aussöhnung einsetzen, sowie den in der Partnerschaftsarbeit Engagierten“, betonte Bischof Bertram.
Zugleich erinnerte er die Schondorfer an die große Verantwortung, die sie nun zu tragen hätten: „Reliquien bauen Brücken.“ Mit dieser Geste der Versöhnung werde deutlich, dass Schondorf damit in die Gemeinschaft der Heiligen eingebettet sei. „Augenscheinlich wird sichtbar, was es heißt, in die Weltkirche eingegliedert zu sein: stark vor Ort und zugleich vernetzt mit der weltweiten Kirche. Bleiben wir in diesem Netz, das trägt und hält. Seien wir einander Stütze und Kraft aus der Gemeinschaft der Heiligen“, ermutigte er die versammelte Gottesdienstgemeinde.
Denn für Bischof Bertram geht der Sinn eines Reliquiars weit über das historische Erinnern an zwei herausragende Persönlichkeiten hinaus: Reliquien seien keine Schaustücke von Helden. „Sie sollen uns vielmehr ein Ansporn zum eigenen christlichen Zeugnis sein.“ Nichts Anderes meine das griechische „martyria“, von dem sich das Wort Martyrium ableite. Dabei gab der Bischof zu bedenken, dass die Zahl derer, die wegen ihres Glaubens vertrieben, verhaftet und getötet würden, mittlerweile höher sei als in den ersten Jahrhunderten der Kirche. „Besonders Christen sind global am meisten im Visier.“ Und auch wenn hierzulande Seelsorge ungehindert praktiziert werden könne, hätten Gläubige mit gesellschaftlichem Gegenwind zu kämpfen und seien Kritik ausgesetzt. „Wer den eigenen Glauben bekennt, stößt zunehmend auf Unverständnis und Verwunderung“, stellte er besorgt fest.
Aber auch der Ortspfarrer, der vor zehn Jahren den Stein erst zum Rollen brachte, ließ es sich nicht nehmen, Worte des Dankes und der Freude an die Schondorfer zu richten. Don Bruno: „Diese Reliquien sind das Zeichen einer Nähe, in gewisser Weise einer Gegenwart, die noch heute zu uns spricht. (…) Mögen der Respekt, die Verehrung und das Gebet, die diese Reliquien in uns wecken, die Frucht eines erneuerten und gestärkten Glaubens und der Liebe zu Gott und zu unseren Mitmenschen tragen.“ Drei Bedeutungen wies er der Präsenz der Reliquien an diesem Ort zu: die Erinnerung, die Kraft der Liebe und die Treue zu dem Auftrag, den Gott und das Leben uns geben. „Möge der heutige Tag jedem von uns Frieden und Mut schenken (…) die Kraft der Liebe und die Kraft der Vergebung.“
Musikalisch gestaltet wurde der Festgottesdienst mit der „Mass of the children“ von John Rutter durch Solisten, Kinder- und Jugendchor der PG Utting-Schondorf, den Kirchenchor Schondorf, das Instrumentalensemble sowie die Schola der Pfarrgemeinde Heilig Kreuz unter der Gesamtleitung von Erich Unterholzner. Es erklang zur Gabenbereitung aber auch das italienische Friedenslied aus Boves "Signore, fa di me uno strumento" (Herr, mach mich zu einem Werkzeug Deines Friedens).
Im Anschluss an die feierliche Messe wurde das Reliquiar in einer feierlichen Prozession – begleitet von der Blaskapelle Utting und den Fahnenabordnungen der Ortsvereine – hinauf zur St.-Anna-Kirche überführt und dort in einem Schrein auf dem rechten Seitenaltar eingesetzt – als ein Zeichen der Verbundenheit zwischen Boves und Schondorf. Ganz bewusst ausgewählt ist dieser Ort des Gebetes nun eine Stätte des Gedenkens an die Opfer des Kriegsverbrechens von 1943 und der Mahnung an künftige Generationen, sich unermüdlich für Frieden und Versöhnung einzusetzen - nur einen Steinwurf entfernt vom Grab des Täters.