Studie offenbart zum Teil erschütternde Ergebnisse - Praxis-Handbuch soll Situation verbessern helfen
Augsburg (pca). Menschen mit geistiger Behinderung werden bei einer Krebserkrankung nicht so versorgt wie Menschen ohne Behinderungen. Die Krankheit wird später diagnostiziert, und sie erhalten weniger an Schmerzmitteln als Menschen ohne Behinderung. Das ist eines der wichtigen Ergebnisse einer über zweijährigen auf umfangreichem Datenmaterial beruhenden Studienarbeit des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg, die heute bei einer Fachtagung in Augsburg vorgestellt wurden und nun auch in dem Praxis-Handbuch "In Würde. Bis zuletzt." veröffentlicht wurden.
"Menschen ohne Behinderung wollen und werden an ihrem Lebensende insbesondere bei einer schweren Erkankung hospizlich und palliativ individuell begleitet. Wir wollen das auch für Menschen mit geistigen Behinderungen", sagte Pfarrer Dr. Andreas Magg, Direktor des Augsburger Diözesan-Caritasverbandes bei der Fachtagung. Auch wenn in den Einrichtungen bereits sehr viel dafür gemacht werde, so zeigte die Studie doch auch, dass noch viel verbessert werden könne. So fordert der katholische Wohlfahrtsverband eine weitere Professionalisierung in der Begleitung dieser betreuten Menschen an deren Lebensende - weg von einer intuitiven Fremdeinschätzung hin zu einer strukturierten hospizlichen und palliativen Begleitung dieser Menschen, die deren Wünsche und Bedürfnis eindeutig berücksichtigt. Vor drei Jahren hatte der katholische Wohlfahrtsverband bereits ein erstes Rahmenkonzept für die hospizliche und palliative Begleitung und Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung vorgelegt. Hintergrund ist, dass inzwischen ein Drittel der 6.000 Menschen mit geistigen Behinderungen in katholischen Einrichtungen im Bistum Augsburg über 60 Jahre alt ist. "Unsere Zusammenarbeit mit den Praktikern in den Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe lehrte uns, dass wir weitere Fragen stellen müssen", berichtete Peter Hell, unter anderem Leiter des Referates Behindertenhilfe im Caritasverband. Mit Unterstützung der Aktion Mensch und mit Eigenmitteln startete der Diözesan-Caritasverband ein zweijähriges Studienprojekt. Auf 40 Seiten stellte das interdisziplinär zusammengestellte Projektteam eine Fülle von Fragen nach Erfahrungen und Schwierigkeiten. 270 von 352 Wohngruppenleitern in Einrichtungen der Behindertenhilfe im Caritasverband nahmen an der Erhebung teil. Zudem wurden Interviews mit 18 Menschen mit geistiger Behinderung durchgeführt. Auch Angehörige, Freunde und Betreuer von in den Jahren 2007 bis 2009 verstorbenen 130 Betreuten fragte man nach ihren Erfahrungen. "Die Ergebnisse waren zum Teil schockierend", so Hell. Beobachtet wurde, dass Menschen mit geistiger Behinderung nur vier bis sechs Wochen nach einer Diagnose einer Krebserkrankung verstarben. Viel schneller also bei Menschen ohne Behinderung. Bislang vermutete man, dass bei Menschen mit geistiger Behinderung eine Krebserkrankung nur schneller und heftiger verlaufe. "Wir haben klare Hinweise darauf, dass die Erkrankung nur deutlich später bei ihnen diagnostiziert wird als bei Menschen ohne Behinderungen", so Christine Fricke, eine der beiden Autorinnen des Handbuches. "Und wenn es zur Krebsdiagnose kam, lag es daran, dass der Betroffene extreme Beschwerden zeigte oder Betreuer in den Wohngruppen beobachteten, dass etwas mit ihm nicht stimme. Doch dann ist es zu spät." Die ärztliche Versorgung "ist also nicht ausreichend."Zentrale Schwierigkeit in der ärztlichen Versorgung ist das Kommunikationsproblem. "Sie müsse und könne verbessert werden", sagte Nicole Stappel, Mitautorin des Handbuches. Dafür gibt es inzwischen vielfältige Methoden der unterstützten Kommunikation, die von der Gebärdensprache über Talkern mit Bildern und computergesteuerte Systeme reicht. Ärzte müssten sich allerdings darauf einstellen und bereit sein, sich mit der Unterstützten Kommunikation auseinanderzusetzen. "Auch die Schmerzerfassung und -therapie ist absolut nicht zufriedenstellend", unterstrich Christine Fricke, Mitautorin des Handbuches. Wenn die Schmerzen nicht richtig erfasst werden, "kann auch die Schmerztherapie nicht richtig greifen." Sehr deutlich unterstrich sie etwas, was an sich selbstverständlich zu sein scheint, es aber offensichtlich nicht ist: "Menschen mit geistiger Behinderung haben Schmerzen wie alle anderen Menschen auch." Inzwischen gebe es aber bereits eine ganze Reihe von Schmerzskalen und Verfahren, die ein "Schmerzmanagement" möglich machen. Da die Betreuer in den Wohngruppen Heilpädagogen sind, fordert sie deren Fortbildung im Bereich der Palliative-Care-Pflege und eine Erhöhung der Anzahl der Pflegefachkräfte mit Palliative-Care-Ausbildung. Infos zum Praxis-Handbuch:In Würde. Bis zuletzt. Hospizliche und palliative Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung. Herausgeber. Caritasverband für die Diözese Augsburg e.V., März 2011. 19,80 Euro. (Zu bestellen beim Caritasverband. E-Mail: info@caritas-augsburg.de)