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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zu "50 Jahre Schulwerk der Diözese Augsburg" in der WWK-Arena

Wie Adler wachsen uns Flügel

10.10.2025

50 Jahre Schulwerk – Wir feiern dieses Jubiläum unter dem Motto: „Wie Adler wachsen uns Flügel“. Mir gefällt das Motto. Adler sind keine Stubenvögel. Sie bleiben nicht am Boden. Sie sehen weit. Sie lernen das Fliegen nicht an einem Tag. Ein Adler probiert, wagt, scheitert und startet neu. Vor allem: Ein Adler fliegt nicht aus eigener Kraft. Er sucht beim Fliegen die Thermik, breitet die Flügel aus und lässt sich vom Aufwind tragen. So steigt er höher und höher, als Muskelkraft es je könnte.

I. Was uns müde macht

Das Bild vom Adler stammt aus dem Buch Jesaja. Wir haben in der Lesung vorhin gehört: Der Prophet Jesaja ruft den Israeliten zu: „Wer auf Gott hofft, schöpft neue Kraft – er bekommt Flügel wie ein Adler; läuft und wird nicht müde; geht und wird nicht matt.“

Jesaja spricht dieses Wort den Israeliten in einer schweren Zeit zu. Das Volk befindet sich in babylonischer Gefangenschaft. Sie haben den Krieg verloren – und mit dem Krieg ihre Heimat, ihre Freiheit, ihre Selbständigkeit. Die langen Jahre in der Gefangenschaft haben sie mürbe und müde gemacht. Sie fragen sich: Haben wir noch Zukunft?

Liebe Schülerinnen und Schüler. Heute ist Festtag. Aber Ihr kennt auch den Schultag. Da gibt es Freude und Erfolge, aber auch Erfahrungen, die belasten und müde machen.

In einer Umfrage unter Euch Schülerinnen und Schülern wurde gefragt: Was zeichnet Eure Generation, die oftmals auch als Generation Z bezeichnet wird, aus? Eine Schülerin sagte: „Wir sind eine Generation, die manipulierbar ist.“ Eine andere: „Wir sehnen uns nach Sicherheit.“

Aus persönlichen Gesprächen mit Jugendlichen weiß ich: Mehr als Prüfungen und Noten belastet Euch das ständige Bemühen, bei den anderen gut anzukommen. Manche erzählen mir, sie leiden unter Mobbing. Da fallen Sätze wie „Du bist zu dick, zu hässlich“. Andere fühlen sich überflüssig und ausgegrenzt. Manche von Euch haben Schwierigkeiten in der eigenen Familie, fühlen sich von ihr nicht verstanden. Eine Jugendliche sagte mir: „Niemand hört mir zu“.

Das alles sind Erfahrungen, die einen müde machen und hinunterziehen.

Wer oder was kann Euch in einer solchen Situation Auftrieb geben? Wer oder was kann Euch Aufwind sein?

 

II. Aufwinde, die tragen

Jesaja ruft seinen müden Landsleuten in der Gefangenschaft zu: „Wer auf Gott hofft, schöpft neue Kraft – er bekommt Flügel wie ein Adler; läuft und wird nicht müde; geht und wird nicht matt.“ Er sagt nicht: „Reißt euch zusammen. Ihr schafft das schon“. Im Gegenteil: Er ermutigt die Israeliten: Schaut auf Gott, vertraut euch ihm an. Er gibt euch Kraft. Er gibt euch Aufwind.

Wer auf Gott hofft, bekommt neue Kraft, bekommt Flügel wie ein Adler. Das ist keine billige Vertröstung. Menschen haben das erfahren und können davon erzählen.

So wie Petrus im heutigen Evangelium. Auf den Zuruf Jesu steigt er aus dem Boot und läuft ihm auf dem Wasser entgegen. Als jedoch der Wind heftiger wird, schwindet sein Vertrauen in Jesus, er beginnt zu sinken. – Sein Freund Jesus lässt ihn jedoch nicht im Stich. Er fasst ihn an der Hand und rettet ihn. Petrus lernt in dieser Situation: „Ich darf mich Jesus anvertrauen. Er hält und trägt mich.“

Vielleicht hast Du es selbst schon erfahren: Wenn Du Dich Gott anvertraust, auf ihn baust, dann bekommst Du neue Kraft. Vielleicht kennst Du Menschen, die Dir davon erzählen können – Eltern, Freunde, vor allem die Großeltern, die oftmals schwere Zeiten durchmachen mussten und erfahren haben, dass Gott sie hält und trägt.

Imponiert hat mich die deutsche Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye, die in Paris die Goldmedaille im Kugelstoßen gewonnen hat. Ogunleye, Tochter eines Nigerianers und einer Deutschen, hatte in ihrer Kindheit und Jugend Erfahrungen mit Rassismus machen müssen. Außerdem erlitt sie schon als Jugendliche schwere Sportverletzungen. Trotz aller Schwierigkeiten hat sie nie aufgegeben. Der Sport und ihr Glaube gaben ihr Kraft. In einem ZDF-Interview nach ihrem Olympiasieg sagte sie: „Dieses Vertrauen in Gott, zu wissen, dass er mich liebt, ob mit oder ohne Medaille, hat mich bis zum heutigen Tag getragen und zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.“

Genau das möchte ich heute Euch allen zurufen: Es gibt einen Gott, der es gut mit Dir meint. Bei dem darfst Du sein, wie Du bist. Er liebt Dich, er gibt Dir Kraft. Du musst nicht alles allein tragen. Er gibt Dir Kraft und Aufwind. Er lässt Dir Flügel wachsen.

So wie der Adler die Thermik sucht, um sich von ihr tragen zu lassen, so lade ich Dich ein, ihn immer wieder zu suchen und Dich auf ihn einzulassen. Wie wäre es mit einem kurzen Stoßgebet „Gott, hilf mir“ vor einer schweren Aufgabe oder einem kurzen Moment der Stille, um den Kopf wieder zu sortieren. Und warum nicht das Anzünden einer Kerze in einer Kirche oder Kapelle, wenn es Dir nicht gut geht?

Das sind keine Fluchtwege, sondern Aufwinde. Gott nimmt nicht jeden Sturm weg, aber er ist der Wind unter Deinen Flügeln.

Aufwind gibt uns der Glaube an Gott; Aufwind können wir aber auch füreinander sein. Im Anschluss an die Predigt werden wir das Lied „Fly with Me“ aus dem Film „Wie im Himmel“ hören. Der Text ist von Leyla Yilbar Norgren, die Musik von Stefan Nilsson.

Der Film „Wie im Himmel“ handelt von dem berühmten Dirigenten Daniel Dareus, der in sein schwedisches Heimatdorf zurückkehrt, um sich körperlich und seelisch von einem Herzinfarkt zu erholen. Er übernimmt den Kirchenchor des Dorfes und wird mit den Freuden und Sorgen der bunt gemischten Chormitglieder konfrontiert. Mit seinem Engagement und seiner Musik schafft er es, den Menschen zu helfen und findet selbst wieder neuen Sinn und tiefe Freude in seinem Leben. Einen großen Anteil zu seinem neuen Lebensmut trägt die hübsche, fröhliche Lena bei, mit der Daniel eine zarte Liebesbeziehung eingeht. Er komponiert für sie ein Lied, das davon handelt, wie sie ihn von seinen Ängsten und schweren Gedanken befreit hat.

Das Lied beginnt mit den Sätzen „Fly away, take my hand“ – „Flieg fort, nimm meine Hand“ – und weiter „Love will find, find a way, I believe in you“ – „Liebe wird einen Weg finden. Ich glaube an dich.“

Was im Song gesungen wird, stimmt. Aufwind bekomme ich, wenn mich jemand an die Hand nimmt. Aufwind bekomme ich, wenn ich Menschen begegnen darf, die an mich glauben. Wir können einander tragen, Halt geben, für Aufwind sorgen.

Schaut Euch um: In Eurer Klasse gibt es viel mehr Hände, die tragen, als man auf den ersten Blick sieht: Mitschülerinnen und Mitschüler, die erklären, Lehrkräfte, die zuhören, die Menschen im Sekretariat, die Hausmeister, die Schulsozialarbeit. Und da gibt es Eure Familie, die Freunde, die Euch Aufwind geben können. Entscheidend ist das Vertrauen zueinander und der Mut, um Hilfe zu bitten. Ihr könnt einander Flügel wachsen lassen, indem ihr jemanden in die Gruppe holt, der oft draußen bleibt; indem Ihr ein gutes Wort in den Chat schreibt, wenn es unfair wird; indem Ihr hinter jemandem steht, der sich allein fühlt. Eine gute Gemeinschaft ist Aufwind. Sie trägt uns höher, als wir allein je kämen.

 

III. Mein Geburtstagswunsch: Ein Schulwerk mit zwei Flügeln

Lieber Herr Kosak, sehr geehrte Mitarbeitenden des Schulwerks, liebe Lehrerinnen und Lehrer, sehr verehrte Gäste!

Zum Schluss möchte ich noch ein Wort an Sie alle richten. Was vor 50 Jahren klein begann, ist heute der größte Träger privater Schulen in Süddeutschland: das Schulwerk der Diözese Augsburg. 46 Schulen geben über 20.000 Schülerinnen und Schülern Heimat und helfen ihnen, ins Leben zu finden. Sie beschäftigen 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sind Arbeitgeber von 1.900 Lehrkräften.

 

Dieses Jubiläum ist ein guter Moment, Dank zu sagen:

Ich danke Bischof Josef Stimpfle, der 1975 das Schulwerk der Diözese Augsburg aus der Taufe gehoben hat, und allen, die ihn dazu ermutigt und unterstützt haben.

Ich danke den drei Direktoren, die das Schulwerk geleitet haben: Gerhard Ettl, Ulrich Haaf und Peter Kosak für ihren großen Einsatz, und allen, die im Stiftungsrat das Schulwerk begleitet haben.

Ich danke allen Lehrkräften und Mitarbeitenden im Schulwerk, die mitgeholfen haben, dass den Schülerinnen und Schülern Flügel wachsen.

Ich danke den Eltern, die ihre Kinder den Schulen des Schulwerks anvertraut haben, und ich sage den vielen Kindern und Jugendlichen Dank, die bis zum heutigen Tag eine Schule des Schulwerks besuchen und offen sind für Bildung und Herzensbildung.

Und vor allem danken wir heute zusammen Gott für seine Nähe und seinen Segen.

Zum 50. Geburtstag habe ich einen Geburtstagswunsch. Mein Wunsch ist: ein Schulwerk mit zwei Flügeln. Wie ein Adler nur mit zwei Flügeln fliegen kann, so brauchen auch die Schulen des Schulwerks zwei Flügel: Bildung und Glaube.

Bildung öffnet Horizonte, weckt Neugier und Kritikfähigkeit. Sie macht fit für Berufe und befähigt zu einem Leben in einer komplexen Welt.

Aber es braucht auch den Flügel „Glaube“. Der Glaube erinnert uns, wofür wir lernen: damit das Leben gelingt – mein eigenes und das der anderen. Er schenkt Richtung, Sinn und Würde. Er sagt jedem Kind und Jugendlichen: Du bist mehr als deine Noten. Du bist von Gott gewollt, geliebt und begabt. Lehren und bezeugen Sie diesen Glauben im Unterricht, wecken Sie ihn in den jungen Menschen durch spirituelle Angebote und feiern Sie ihn immer wieder in Gottesdiensten. Der Glaube ist kein Zusatz in einer Schule, sondern der Grundton.

Darum meine Bitte: Achten Sie darauf, dass die Schulen des Schulwerks auch weiterhin Schulen mit zwei Flügel bleiben – Orte, an denen junge Menschen Aufwind für ihr Leben erfahren.

Und jetzt lade ich Euch, Schülerinnen und Schüler, ein: Während das Lied „Fly with Me“ erklingt, bezeugt in Eurer Choreografie, was Jesaja verspricht: „Wer auf Gott hofft, schöpft neue Kraft – er bekommt Flügel wie ein Adler.“