Das Gedenken der Toten ist Verpflichtung zum Frieden
Geschätzte, liebe Soldatinnen und Soldaten, verehrte Verantwortungsträger in der Öffentlichkeit und Politik, liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst, liebe Seelsorger, liebe Schwestern und Brüder im Glauben
Sinn und Ziel dieses Gottesdienstes auf dem Hohen Brenten ist das Gebet um den Frieden und das Gedenken der Toten. Das gilt umso mehr in diesem Jahr 2007, wenn der 50. Gedenktag der Errichtung des Ehrenmals auf dem Hohen Brenten ansteht: Das Gedenken der Toten und Gefallenen der Kriege ist die intensivste aller Mahnungen an unsere Verpflichtung zum Frieden.
Darum geht unser Blick heute zurück im Gedenken und im Gebet für die Millionen Toter, Verwundeter und Gefallener in den unsäglichen Weltkriegen, die das 20. Jahrhundert in Europa prägten.
Aber die Elemente der Erinnerung drängen uns gleichzeitig nach vorne. Es geht, wenn es um Frieden geht, um unsere Zukunft! Wie kann Krieg verhindert, wie kann Friede in Zukunft gesichert werden, das ist die Frage, welche die Politik und uns alle bewegt!
Ich lade Sie gerne ein, mit mir heute an diesem ganz besonderen Gedenktag über drei Elemente dieser Friedensfrage nachzudenken.
1. Friede beruht auf Gerechtigkeit
„Opus iustitiae pax“ - „Friede ist ein Werk der Gerechtigkeit“ – so lautet das berühmte Leitwort Papst Pius´ XII. Er war der Papst, der als Zeuge und Betroffener das Leid des II. Weltkrieges sah. Gerechte Strukturen als Voraussetzung für den Frieden, das ist seine Erkenntnis.
In allen Bereichen ist das so! Ist eine Schulklasse, ein Betrieb, eine Gruppe denkbar, in der Friede herrschen soll, wenn gleichzeitig einzelne tyrannisiert, gemobbt oder ständig zurückgesetzt und ungerecht behandelt werden? Niemals! Wo Menschen Gerechtigkeit vorenthalten wird, rührt sich der Hass, wird es stetig brodeln. Das beginnt im Kindergarten, das setzt sich fort in der Schule und auf dem Pausehof, und es endet bei Fragen der hohen Politik, bei den Grundlagen der internationalen Kooperation und bei der Kriegsverhinderung. „Opus iustitiae pax“ – dieses Prinzip meint den Geist jeder vernünftigen und soliden Friedenspolitik, es der geistige Grund der Menschenrechte!
An diesem Punkt der Gerechtigkeit und der Menschenrechte entscheidet sich vieles. Sind wir Europäer genug politisch engagiert, um eine menschenwürdige Gesellschaft zu bleiben. Ich sage das vor allem mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen die jetzt gerade in der politischen Diskussion auf uns zukommen. Zum Beispiel sei die Frage erlaubt: Warum ist es so schwierig über einen Gottesbezug in der Präambel des Europäischen Verfassungsvertrages nachzudenken. Ist die gedankliche Vorstellung eines christlichen Abendlandes so fremd, so weit entfernt von der politischen Agenda? Oder meinen wir, wir könnten solch hehre Rechte wie die Unantastbarkeit der Würde der Person allein auf Gremien stützen. Davor würde mir Angst, wenn der Grund der Menschenrechte und die Unveräußerlichkeit der Würde der menschlichen Person von Beschlüssen von Menschen, von Gremien und Parlamenten abhinge und der Blick auf eine transzendente Begründung in Gott verloren ginge.
2. Friede beginnt in der Erziehung
Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte unlängst ein interessantes Papier zum Thema Bildung. Bildung und Schule als Herausforderung für junge Menschen – so lautet das Thema.
Gleich zu Beginn sticht eine Statistik ins Auge: Wenn ein junger Mensch seinen ersten Schultag erlebt, hat er zunächst logischerweise 0 Schulstunden hinter sich, aber bereits 3.000 Stunden vor dem Fernseher. Wenn dieser Schüler dann in die 7. Klasse kommt, liegen hinter ihm 12.000 Schulstunden, aber bereits 13.000 Stunden vor dem Fernseher. Wer glaubt – so schließen die Bischöfe – dass diese Flut von Bildern, Tönen, Vorstellungen das Gehirn und das Denken junger Menschen unbeeinflusst lässt, der gehört in das Tal der Ahnungslosen.
Genau an diesem Punkt entsteht für uns – auch und gerade nach der berüchtigten PISA-Studie – die entscheidende Frage: Was bedeutet eigentlich Bildung? Und vor allem: was muss denn ein junger Mensch, ein Schüler heute lernen, damit er weiß, was wichtig ist und was er für sein Leben braucht? Genügt es, wenn unsere Schulen die sogenannten Kulturtechniken der Menschheit vermitteln? Wenn sie Biologie, Erdkunde, Deutsch, Mathematik, Physik, Chemie lehren, wenn sie den Schülern auch beibringen mit einem Laptop umzugehen und sich in sich ins Internet einzuloggen? Das alles ist zweifellos gut und wichtig für die Zukunft in der modernen Wissensgesellschaft. Dennoch ist klar: die Schule hat damit höchstens die Hälfte der Hausaufgaben gemacht. Die Schule und unser Bildungssystem treten zu kurz, wenn die entscheidendste aller Frage ausgelassen wird. Es ist die Frage nach Orientierung und nach Wertmaßstäben für das Leben junger Menschen, und letztendlich die alles entscheidende Frage nach dem Sinn unseres Lebens.
Junge Menschen müssen heute über alles technische Wissen hinaus, ausgestattet werden mit Antworten, mit denen sie ihr Leben ertragen und gestalten können.
Junge Menschen brauchen Orientierung und Halt. Wo sie es nicht bekommen, entsteht geistige Not. Da gerät unsere Gesellschaft in dramatische Schieflagen! Gerade in diesen Wochen, da sich der berüchtigte Amoklauf am Gutenberggymnasium in Erfurt erneut jährte, wird uns so deutlich wie selten bewusst, wie wichtig tragende Wertmaßstäbe für ein Leben sind.
Es ist der Journalist und Redakteur der „Augsburger Allgemeinen“ WALTER ROLLER, der klar in diese Richtung denkt. In seinem Leitartikel nach dem Amoklauf von Erfurt nennt er drei entscheidende Gründe für solche Orientierung und Werteerziehung:
„Erstens: Es gibt ein Defizit an Erziehung. Viele Jugendliche sind mit sich und ihren Sorgen allein. Der Staat kann nicht wettmachen was Eltern versäumen. Jugendliche brauchen Orientierung und Halt.
Zweitens: Eine Gesellschaft, in der jeder nur seinen Vorteil sucht und zunehmend für sich lebt, büßt Ihre sozialen Bindungskräfte ein. Man sieht gerne weg. Gefährdete Jugendliche driften ab, weil sich niemand – auch in der Schule nicht – hinreichend um sie kümmert.
Drittens: Gefestigten Menschen mag der Dauerkonsum von gewaltverherrlichenden TV- und Kinofilmen, Videos und Computerspielen vielleicht nichts anhaben. Bei labilen, zu Nachahmung neigenden Jugendlichen können diese Gewaltorgien ungeheure Aggressionen und Allmachtsphantasien auslösen. Hier muss eingegriffen werden.“
Wo es um den Frieden geht, beginnt es immer im Kleinen, beginnt es in den Köpfen der Kinder! Friede ist eine gesamtmenschliche Aufgabe, er setzt schon in den Gedanken und Wertvorstellungen der Kinderköpfe an! Weil Friede immer eine Frage des Denkens und des Geistes ist, darum ist Friede eine zentrale Herausforderung und Aufgabe von Bildung und Erziehung.
3. Friede erfordert politische Wachsamkeit
Politische Wachsamkeit ist die Voraussetzung für die Verhinderung von Zukunftskatastrophen. „Seid wachsam! Denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde!“ – so schärft es Jesus seinen Jüngern ein, wenn es um die Wiederkunft des Herrn am Ende der Zeit geht.
Ich erinnere hier und heute, wenn es um politische Wachsamkeit geht, an den so sympathischen Jugendschriftsteller Erich Kästner. So populäre Bücher wie „Emil und die Detektive“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“ stammen aus seiner Feder. Nur wenige wissen, dass auch seine Bücher im Jahr 1933 bei der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten vor der Berliner Humboldt-Universität unter dem Jubel der grölenden Nazihorden ins Feuer geworfen wurden. Später, als Erich Kästner im Jahr 1958 den begehrten Büchner-Preis für Literatur bekam, wählte er sich als Thema seiner Festrede: „Über das Verbrennen von Büchern.“ Es ist ein einziger Appell zur politischen Wachsamkeit!
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.
Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluss meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben. Es ist eine Angelegenheit des Terminkalenders, nicht des Heroismus.“
[Erich Kästner, Über das Verbrennen von Büchern (10. Mai 1958) In: Gesammelte Schriften, Bd. 5. Vermischte Beiträge. Frankfurt 1965, S. 576ff]
Am Schluss dieser Gedanken zum Frieden auf dem Hohen Brenten möchte ich Ihnen – sozusagen für Ihren persönlichen geistigen Notizblock – ein Sprichwort da lassen. Es ist nicht bei uns in Deutschland entstanden, sondern es stammt aus dem Land Israel, dem Land Jesu, es stammt aus der Zeit der Entstehung der größten Friedensbotschaft der Christenheit, des Neuen Testamentes. Dieses Sprichwort formuliert in meinen Augen klarer als vieles, was heute geschrieben, gesendet und gesagt wird, den zentralen Ansatzpunkt unserer bleibenden Friedensherausforderung:
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten.
Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Taten.
Achte auf deine Taten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er ist dein Schicksal.
Amen