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Wichtiges
75 Jahre Frauenfriedenswallfahrt

„Die Kirche ist zu einem Wörtervolk geworden“

06.07.2022

Es war kurz nach dem 2. Weltkrieg, im Jahr 1947, als sich zum ersten Mal in den frühen Morgenstunden zahlreiche Frauen und Mädchen vom Dom zur Ulrichsbasilika aufgemacht haben. In einer Friedenswallfahrt dankten sie für das Ende des Krieges und baten den hl. Ulrich um seine Fürsprache für die Rückkehr der Gefangenen. Heute, 75 Jahre später, lebt diese Tradition im Rahmen der Ulrichswoche Jahr für Jahr fort. So haben sich auch am heutigen Mittwoch mehrere hundert Frauen, die vielfach aus den Zweigvereinen des Frauenbunds nach Augsburg gekommen waren, betend und singend, mit Kreuz und Fahnen auf den Prozessionsweg gemacht. In einem feierlichen Pontifikalamt mit dem Bischof gedachten sie der langen Wallfahrtsgeschichte und setzten ein deutliches Zeichen für Frieden und Versöhnung.   

In seiner Predigt ging Bischof Bertram auf das Leitwort des Gottesdienstes „Herztöne“ ein und rief dazu auf, als Kirche wieder vermehrt zu einem Resonanzkörper des Heiligen Geistes zu werden. „Die Kirche ist zu einem ‚Wörtervolk‘ geworden, zu einem Debattierclub über Gott und die Welt. Hat dabei der Heilige Geist noch eine Chance?“, wandte er sich an die Frauen und lud sie dazu ein, wieder stärker auf die Herztöne in ihrem Innern zu hören. „Herztöne bedeuten Leben, zerbrechliches, schützenswertes, einmal wunderbares Leben. Gerade wir gläubigen Menschen wissen um diesen kostbaren Schatz des Lebens und doch sind wir in Gefahr, dem Wirken Gottes in unserem eigenen, persönlichen Leben nicht den Raum zu geben, der zur Verwandlung führt.“

Im Hinblick auf die Endlichkeit des Lebens griff er Gedanken der bekannten Palliativpflegerin und Buchautorin Bronnie Ware auf und warnte davor, die innere Sehnsucht niederzuhalten und das Leben auf ein „unbestimmtes Später“ zu verschieben. Der Liebe im Leben nicht mehr Raum gegeben zu haben, werde von Sterbenden im Angesicht des Todes vielfach bedauernd erwähnt, stellte Bischof Bertram basierend auf Aussagen der Autorin fest. Gewünscht werde rückblickend oft unspektakuläres. „Warum fällt es uns dann aber so schwer, auf diese Herztöne in unserm Innern zu hören?“, fragte der Bischof nachdenklich und verwies auf das gehörte Schriftwort: „Im heutigen Evangelium hören wir, wie Jesus seine Jüngerinnen und Jünger seiner unwandelbaren Liebe versichert: ‚Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich Euch geliebt‘ (Joh 15,9). Das dürfen wir wirklich glauben! Wenn wir aus diesem Glauben heraus leben, dann verändert sich nicht nur etwas in unserem Leben, sondern dann verändert sich alles“. 

Im Rückgriff auf das Buch „Herztöne“ von Geigenbauer Martin Schleske aus Landsberg rief er schließlich zur Dankbarkeit auf, die ein Empfinden von Fülle erzeuge. „Was wir wissen oder zu wissen glauben, betäubt uns das Ohr. Die hörende Leere, die wir brauchen, ist nicht Wissen, sondern eine in den Himmel hineinhorchende Stille.“ Schweigendes Gebet heiße nicht, nichts zu sagen, sondern Gott unser Herz wortlos zuzuneigen. „Lass deinem Ohr die Zeit, sich auf den Himmel einzustellen“, zitierte Bischof Meier.  

Die Katholische Sonntagszeitung, die damals noch Kirchenzeitung hieß, berichtete über die erste Frauenfriedenswallfahrt und bezeichnete sie als eine "aus den Zeitumständen erwachsene Besonderheit". (Quelle: Archiv des Bistums Augsburg)
Die Katholische Sonntagszeitung, die damals noch Kirchenzeitung hieß, berichtete über die erste Frauenfriedenswallfahrt und bezeichnete sie als eine "aus den Zeitumständen erwachsene Besonderheit". (Quelle: Archiv des Bistums Augsburg)

Auch Dr. Ursula Schell, geistliche Begleiterin beim Frauenbund, griff in Ihren Begrüßungsworten das Motto des Gottesdienstes auf. „Wir brauchen Menschen, die die ‚Herztöne‘ des Lebens wahrnehmen und schützen und die die Herzen Anderer erreichen und für Frieden und Liebe gewinnen“, sagte Schell und rief zur Verbundenheit mit jenen Frauen auf, die sich vor 75 Jahren und bis heute für den Frieden einsetzten.

Ein Brauch, der bereits bei der ersten Frauenwallfahrt 1947 eingeführt worden war, durfte auch im diesjährigen Jubiläumsjahr nicht fehlen. So standen bereits zu Beginn des Gottesdienstes mehrere geschmückte Körbe voller Ulrichsbrote als Zeichen der Versöhnung und Solidarität vor dem Altar bereit. Die Brote wurden am Ende der Messe von Bischof Bertram geweiht und bei einem gemeinsamen Frühstück im Haus St. Ulrich von den Frauen gemeinsam verkostet. 

  

Anlässlich des 75. Jubiläums der Frauenfriedenswallfahrt widmet sich die Reihe „Frauentalk auf der Pinken Couch“ in der kommenden Woche dem Thema Friedensarbeit. Zwei Politikerinnen berichten im Rahmen der Online-Veranstaltung am 11. Juli um 20 Uhr über ihre Arbeit für den Frieden, ihren Einsatz für geflüchtete Menschen und den Krieg in der Ukraine.