„Jede Handlung verändert das Antlitz der Welt“
Es war sicher einer der Höhepunkte beim 102. Katholikentag in Stuttgart: Der weltkirchliche Gottesdienst in der Domkirche St. Eberhard zog am Freitagabend so viele Menschen an, dass sogar die Stehplätze knapp wurden. Weltkirchenbischof Dr. Bertram Meier rief zu einer „neuen Sicht auf die Welt“ auf. Beim anschließenden Empfang bezeichnete der Bischof es als „großes Anliegen, dass wir miteinander in unseren Ländern die synodalen Prozesse fördern und uns einbringen, damit daraus der Reichtum der Katholizität nächstes Jahr in Rom bei der Synode auf Weltebene sichtbar wird und Strahlkraft bekommt.“
„Beurteilen wir Menschen nicht mehr danach, was sie besitzen oder welchen Stand sie in der Gesellschaft haben“, sagte Bischof Bertram und erinnerte an die Papst-Enzyklika „Fratelli tutti“: „Papst Franziskus ruft im Geiste des Heiligen Franz von Assisi zu einer ‚dem Evangelium gemäßen Lebensweise‘ auf und lädt alle Menschen, nicht nur Katholikinnen und Katholiken, zu einer Liebe ein, ‚die alle politischen und räumlichen Grenzen übersteigt.‘ Diese Liebe beinhaltet den Gedanken einer universalen Solidarität unter den Völkern.“
Die Corona-Pandemie und den Krieg Russlands in der Ukraine bezeichnete der Bischof als Nagelprobe. Es sei ermutigend, wie viele Menschen solidarisch dächten und handelten. Andererseits flüchteten viele in einen radikalen Individualismus. Aber, so der Bischof: „Jede Handlung, und sei sie noch so klein, verändert das Antlitz der Welt. Täglich können Taten der Liebe zum Heil der Menschheit beitragen, sei es in der Kirche, in der Familie, oder in der Gesellschaft. Wir alle sind ‚für die Liebe geschaffen' („Fratelli Tutti“) und es ist unsere Berufung, Christus in jedem Menschen, besonders den Ausgeschlossenen und Hilfsbedürftigen, zu erkennen. Reißen wir die Mauern der Gleichgültigkeit und des Individualismus ein! Befreien wir uns endlich vom konsumorientierten Denken und einem Wirtschaftssystem, das eine Minderheit begünstigt, und Menschenrechte zugunsten kommerzieller Gewinne vernachlässigt.“
Den anwesenden Gläubigen gab Bischof Bertram folgende Gedanken mit: „Lernen wir, in jedem Menschen Bruder und Schwester zu sehen, seine Würde zu achten und seine Rechte zu schützen. Stehen wir den Notleidenden und Ausgegrenzten bei, gerade wenn wir zu den vermögenden und wohlhabenderen Menschen gehören. Zeigen wir uns solidarisch mit den Opfern von Krieg, Verfolgung und Ungerechtigkeit! Setzen wir ein Zeichen gegen Rassismus und Intoleranz! Verbreiten und verteidigen wir gemeinsam die Werte der Liebe und des Friedens.“ Denn Gott habe zwei Maßanzüge: Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
Es war ein wirklich weltkirchlicher Gottesdienst, den die Menschen in der Stuttgarter Innenstadt miterlebten: Neben Bischof Bertram konzelebrierten unter anderem der Erzbischof von Bombay, Kardinal Oswald Gracias, der Erzbischof von Bagdad, Kardinal Louis Sako, und der Apostolische Exarch für die Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien, Bischof Bohdan Dzyurakh.
Beim anschließenden weltkirchlichen Empfang erinnerte Bischof Bertram daran, dass synodale Prozesse auf der weltkirchlichen Ebene immer zweigleisig sein müssten: „Es ist gut, wenn wir unsere Ideen, die Kirche zu erneuern, in den Kontext der Weltkirche einbetten und uns den Fragen stellen, die von unseren Partnerinnen und Partnern, unseren Schwestern und Brüdern in der Einen Welt an uns herangetragen werden. Wir Deutsche können davon nur profitieren. Das heißt im Umkehrschluss: Wir gehen unseren Weg als Kirche in Deutschland nicht allein, wir brauchen Euch – Eure Gedanken, Kritik, Ermutigung, auch Korrektur.
Katholisch heißt ja: Niemand ist so reich, dass er nicht auch empfangen könnte, und niemand ist so arm, dass er nicht auch geben könnte. Also: Weniger geschlossene Schubladen, dafür mehr offene Angebote, die wir im Dialog untereinander anschauen, besprechen und entscheiden. Und vorher nicht vergessen: Darüber beten! Das ist Weltkirche, wie sie leibt und lebt.“