Menü
Wichtiges
„Integration beginnt im Kopf!"

Katholische Morgenfeier zum Caritassonntag

08.02.2010

Liebe Hörerinnen und Hörer,

was hätte der Caritas dieses Jahr Besseres passieren können, als dass pünktlich zum Caritassonntag die erste Enzyklika unseres Papstes Benedikt fertig ist. „DEUS CARITAS EST“ – „Gott ist die Liebe“ so lautet der Titel. Papst Benedikt hat sich das zentralste und wichtigste aller zentralen Themen der Theologie und des Glaubens der Christenheit gewählt: Gott ist „Caritas“ – Gott ist Liebe.

Vieles ist in Jahrhunderten der Geschichte der Theologie über Gott gesagt, gedacht, geschrieben worden. Millionen von Bänden füllen die theologischen Bibliotheken. Tausend Spekulationen über Gott und seine Eigenschaften kann man studieren. Doch all das verschwindet gegenüber diesem einen Wort: Gott ist Liebe! So beginnt der Papst seine Enzyklika:

1.
„DEUS CARITAS EST“ – „Gott ist die Liebe“

„Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16). In diesen Worten aus dem Ersten Johannesbrief ist die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges in einzigartiger Klarheit ausgesprochen. Außerdem gibt uns Johannes in demselben Vers auch sozusagen eine Formel der christlichen Existenz: ,,Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt“ (vgl. 4,16).
Wir haben der Liebe geglaubt: So kann der Christ den Grundentscheid seines Lebens ausdrücken. Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt. In seinem Evangelium hatte Johannes dieses Ereignis mit den folgenden Worten ausgedrückt: ,,So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt ... das ewige Leben hat“ (3,16). Mit der Zentralität der Liebe hat der christliche Glaube aufgenommen, was innere Mitte von Israels Glauben war, und dieser Mitte zugleich eine neue Tiefe und Weite gegeben.“ – soweit Papst Benedikt.

Welch eine gewaltige und wunderschöne Perspektive für unser Leben, die uns hier geschenkt ist. Von Gott auf unsterbliche, unsagbare Weise geliebt und ins Herz geschlossen zu sein – das ist der Boden auf dem wir stehen, das ist das Fundament unserer Existenz. Caritas – Liebe, das ist der Anfang und der Grund allen Christentums!
Der heilige Augustinus – jener große Kirchenvater, der in unseren bayerischen Barockkirchen immer mit dem Symbol des brennenden Herzens dargestellt wird – er bringt den Unterschied zu allem anderen auf den Punkt:
„Die Liebe – sagt er – ist das einzige, was die Kinder Gottes von den Kindern des Teufels unterscheidet. Hörst Du: Das einzige. Wer die Liebe hat, ist aus Gott geboren; wer sie nicht hat, ist nicht aus Gott geboren. Das ist das große Zeichen, der große Unterschied.“

Papst Benedikt bringt das in seinem ersten Weltrundschreiben – wie das Wort Enzyklika übersetzt heißt – in eine ganz aktuelle politische Dimension:
„In einer Welt, in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird, ist dies eine Botschaft von hoher Aktualität und von ganz praktischer Bedeutung. Deswegen möchte ich in meiner ersten Enzyklika von der Liebe sprechen, mit der Gott uns beschenkt und die von uns weitergegeben werden soll.“

Der altehrwürdige Kehrvers der Eucharistiefeier am Gründonnerstag, drückt dies aus: „Ubi caritas et amor, Deus ibi est“ – „Wo die Güte und die Liebe wohnt, da ist Gott“

MUSIK
Maurice Duruflé,
Motets sur des thèmes grégoriens pour choeur a cappella
„Ubi caritas et amor, Deus ibi est“

2.
Gottesliebe und Weltverantwortung gehören zusammen

In Ravenna, der kunstsinnigen italienischen Stadt mit den weltberühmten Mosaiken kann man eine seltene Entdeckung machen. In der Kirche St. Appollinare nuovo sind die Heiligen dargestellt, wie sie in weiße Gewänder gehüllt im Kreis um Christus stehen, mit einer Ausnahme: Der heilige Diakon Laurentius, er trägt als einziger ein goldenes Gewandt. Der Grund ist schnell erklärt. Es ist der Lohn für seinen Dienst in der Sorge für die Armen. Die Legende erzählt, wie der Diakon eines Tages verhaftet und vom Kaiser aufgefordert wird, alle Schätze der Kirche einzusammeln und binnen eines Tages in den Vorhof des Palastes zu bringen. Laurentius antwortet, dass diese Aufgabe unmöglich in einem Tag zu erledigen sei, das erfordere mindestens drei. Der Kaiser ist neugierig geworden über den unerwarteten Reichtum der Kirche. Gespannt betritt er am dritten Tag den Hof des Palastes. Was er sieht: Er ist er voller Kranker, Lahmer, Krüppel, Blinder und Behinderter. „Das, mein Kaiser“ sagt der Diakon Laurentius, „das sind die Schätze der Kirche!“

Die Würde jedes Menschen – als Ebenbild Gottes – ist für uns Christen das entscheidende Kriterium. Sie ist eine stetige Erinnerung an das wesentlichste Ziel unserer Sendung: Die Verwirklichung der Gottes und Nächstenliebe! „Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Kraft und Deinen Nächsten wie dich selbst!“ – dies ist das Hauptgebot des Neuen Testamentes. Jesus stellt es in den Mittelpunkt unserer Lebensaufgaben. Christentum ist Caritas! Die Qualität der Nachfolge Jesu entscheidet sich immer an diesem Kriterium: Wie wichtig ist uns der Nächste? Und umgekehrt waren es immer die schlechtesten Jahrhunderte in der Geschichte der Kirche und der Christenheit, wenn Christen ihre Weltverantwortung nicht erkannten oder sie links liegen ließen.

Dies zeigt eine interessante und wichtige biblische Entdeckung: An der Stelle, wo in den ältesten Evangelien der Bibel nach Matthäus, Markus und Lukas die Berichte vom letzten Abendmahl Jesu stehen, da findet sich im Johannesevangelium die Schilderung von der Fußwaschung Jesu. Es gibt keine Eucharistie ohne Caritas, ohne dienende Liebe – das ist die Botschaft! Das hat eine tiefe Bedeutung für die zentrale Perspektive des Christentums: Eucharistie, das wichtigste Sakrament der Kirche und tätige Nächstenliebe gehören unmittelbar zusammen! Eine Trennung vom Glauben, den man glaubt und vom Leben, das man lebt, gibt es nicht!

Da denke ich an Vinzenz von Paul, den Gründer der Barmherzigen Schwestern, die auch in unseren bayerischen Krankenhäusern wertvollen Dienst tun. Immer wieder kamen damals Bettler und Kranke, die während der Frühmesse an die Pforte der Schwestern klopften und Hilfe suchten. Die Frage quälte die Schwestern sehr: Darf man die heilige Messe verlassen um im Notfall zu helfen? Die Antwort des Heiligen lautet: Es ist erlaubt! „Ihr dürft, denn wisset Schwestern, Ihr geht ja von Jesus weg zu Jesus hin!“

An diesem Punkt zeigt sich in aller Deutlichkeit, wie sehr Weltverantwortung und Spiritualität zusammengehören. Soziales Engagement und transzendente Heimat schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Nur ein Mensch, der ein Ziel, eine Perspektive, eine Vision hat, wird fähig sein und die Kraft haben, seine irdischen Herausforderungen, den Alltag und auch Grenzsituationen seines Lebens zu bestehen.

„Liebe – Caritas – wird immer nötig sein, auch in der gerechtesten Gesellschaft. – schreibt Papst Benedikt in seiner Enzyklika - Es gibt keine gerechte Staatsordnung, die den Dienst der Liebe überflüssig machen könnte. Wer die Liebe abschaffen will, ist dabei, den Menschen als Menschen abzuschaffen. Immer wird es Leid geben, das Tröstung und Hilfe braucht. Immer wird es Einsamkeit geben. Immer wird es auch die Situationen materieller Not geben, in denen Hilfe im Sinn gelebter Nächstenliebe nötig ist. Der totale Versorgungsstaat, der alles an sich zieht, wird letztlich zu einer bürokratischen Instanz, die das Wesentliche nicht geben kann, das der leidende Mensch – jeder Mensch – braucht: die liebevolle persönliche Zuwendung. Nicht den alles regelnden und beherrschenden Staat brauchen wir, sondern den Staat, der entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip großzügig die Initiativen anerkennt und unterstützt, die aus den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften aufsteigen und Spontaneität mit Nähe zu den hilfsbedürftigen Menschen verbinden.“

Menschen in Not, Menschen, die dringend Hilfe brauchen, können sich so gut wieder finden in den Worten des Psalmbeters. In seiner Not betet er „Richte mich Gott, führe meine Sache und rette mich, sende Dein Licht und deine Wahrheit!“

MUSIK
Felix Mendellsohn-Bartholdy, Motette
„Richte mich Gott“ (Psalm 43)

3.
„Integration beginnt im Kopf!“

Für dieses Jahr 2006 hat uns die deutsche Caritas ein besonderes Thema vorgegeben. Es lautet „Integration beginnt im Kopf - Für ein besseres Miteinander von Deutschen und Zuwanderern“. Diese Überschrift markiert eine ganz wesentliche Zukunftsherausforderung unseres Landes. Deutschland ist – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht – ein Einwanderungsland geworden. Und die Integration der Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern und verschiedensten Gründen zu uns kommen, ist für uns Deutsche inzwischen ein entscheidendes Lebensthema und eine Frage der Gestaltung unserer Zukunft geworden. Allein einige Zahlen mögen die Bedeutung dieses Themas zeigen:

In Deutschland leben heute gut 14 Mio. Menschen mit – wie wir sagen – Migrationshintergrund. Hierzu zählen zum Beispiel über vier Mio. Aussiedler und Spätaussiedler mit deutschem Pass, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Viele davon kommen aus Russland.

Das Ausländerzentralregister verzeichnete 2004 rund 6,7 Mio. in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige. Rund 2,1 Mio. kommen aus europäischen Ländern. Viele der Zuwanderer leben schon seit langem bei uns. Rund 4,6 Mio. – also mehr als zwei Drittel – sind bereits länger als 20 Jahre in Deutschland, mehr als die Hälfte von ihnen seit mindestens zehn Jahren. Von den über 6,7 Mio. hier lebenden Ausländern wurde jede fünfte Person in Deutschland geboren. Hier handelt es sich bereits um die so genannte zweite oder dritte Migrantengeneration. Etwa 1,5 Mio. Kinder aus inter-nationalen Ehen wachsen mit deutscher Staatsangehörigkeit auf.

Die kulturellen, die religiösen und auch die politischen Hintergründe und Lebensgeschichten der Migranten sind so vielfältig, wie die Menschen selbst. Ebenso die Gründe, warum sie sich dafür entschieden haben, nach Deutschland zu kommen.

„Integration als eine Schlüsselaufgabe dieser Zeit“

In ihrer Regierungserklärung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Recht „Integration als eine Schlüsselaufgabe dieser Zeit“ bezeichnet. Denn die Integration der zu uns gekommenen Menschen ist eine existenzielle Zukunftsfrage der Gesellschaft insgesamt, aber auch für die Kirche und ihre Caritas.

Wie wichtig gelingende Integration ist bzw. wie dramatisch es sich auswirken kann, wenn Integration nicht gelingt, haben die Ereignisse in den vergangenen Wochen in Frankreich gezeigt. Jugendliche, die das Gefühl haben, ausgegrenzt und chancenlos zu sein, zeigten in einer erschreckenden Weise ihre Wut und Verzweiflung.
Die Ereignisse in Frankreich machen deutlich, dass es bei der Integration nicht nur um den Erwerb der Sprache geht. Die Sprache des Landes zu beherrschen, in dem man lebt, ist eine zwingende Voraussetzung für die Gestaltung des Alltags und den Aufbau von Kontakten. Aber sie ist eben nur eine Voraussetzung. Integriert zu sein heißt auch, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereiche und die damit verbundene Regeln zu kennen, teilzuhaben und selbst mit zu gestalten. Dies erfordert die Bereitschaft aller - der deutschen und der ausländischen Bevölkerung - sich mit Respekt, Achtung und Interesse zu begegnen. Dabei kann Gemeinsames erkannt und geteilt werden. Der Umgang mit Unterschieden muss austariert und geklärt werden.
Was muss die Politik tun?

Damit Integration gelingt, sind politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen erforderlich, die das Zusammenleben fördern und unterstützen. Zum Beispiel:

Es gibt europäische Antidiskriminierungsrichtlinien. Sie sollten zügig in ein vernünftiges nationales Antidiskrimierungsgesetz umgesetzt werden. Manche individuelle und strukturelle Diskriminierung von Zuwanderern ist in Deutschland noch immer weit verbreitet, insbesondere auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt.

Vor allem das Leben und der Zusammenhalt in der Familie ist für viele Zuwanderer Stütze und Kraft; es kann – vielleicht mehr als in vielen deutschen Familien – eine wesentliche integrative Kraft sein. Die Caritas erhebt darum Bedenken gegen die Bestrebung, das Zuwanderungsgesetz in Hinblick auf die Familienzusammenführung zu verschärfen. Eine weitere Erschwerung der Familienzusammenführung steht im Widerspruch zu dem durch das Grundgesetz gesicherten Schutz der Familie. Sie würde der Lebenswirklichkeit vieler Migranten nicht gerecht.

Nicht vergessen werden darf die ca. eine Mio. Menschen ohne Aufenthaltsstatus, deren Zahl nur geschätzt werden kann. Seit Jahren fordert der Deutsche Caritasverband eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Ausländer. Viele der Betroffenen leben seit zehn oder mehr Jahren in Deutschland und haben sich hier eingelebt. Sie sind jedoch nach wie vor von Abschiebung bedroht. Besonders betroffen sind Familien mit Kindern, die hier geboren und aufgewachsen sind. Zum Aufbau einer Lebensperspektive benötigen diese Menschen dringend das Aufenthaltsrecht.

Gerade für Menschen ohne Aufenthaltsrecht muss es genügend Sicherheit und Schutz geben. So ist es unerlässlich, dass kranke Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Kinder müssen den Kindergarten und die Schule besuchen können, auch dann, wenn ihre Eltern illegal in Deutschland leben.

Entscheidend ist letztlich aber auch die Bereitschaft der Migranten, die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen im Land anzuerkennen und mitzugestalten.

Was kann die Caritas zu einer gelingenden Integration beitragen?

Der Deutsche Caritasverband engagiert sich seit vielen Jahren in der Arbeit für und mit Menschen, die zu uns nach Deutschland zugewandert sind. Die Migrationsdienste der Caritas zum Beispiel beraten und unterstützen Betroffene beim Erlernen der deutschen Sprache. Sie helfen bei der Qualifizierung und bei der der Suche nach einer Beschäftigung. Außerdem engagieren sie sich gegen Diskriminierung und fördern den Dialog der Kulturen und Religionen. Die Migrationsdienste arbeiten in enger Kooperation mit Kommunen, Ämtern, Bürgervereinen, Kirchengemeinden u.v.a. und fördern so das Miteinander von Deutschen und Migranten. Eine besondere Stärke der Migrationsdienste ist die vernetzte Hilfe in Zusammenarbeit mit den anderen Diensten und Einrichtungen der Caritas.

Ein wichtiges Kriterium der Hilfe ist immer der Blick auf die Kinder. Die vom Deutschen Caritasverband im Herbst diesen Jahres in Leben gerufene Befähigungsinitiative für benachteiligte Kinder und Jugendliche will in den kommenden Jahren beispielsweise in den Kindertagesstätten Kinder mit Migrationshintergrund in besonderer Weise beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützen. Dabei wird auch versucht werden, die Eltern aktiv einzubeziehen.

Ob Sie heute froh und voller Zuversicht aufgestanden sind, liebe Hörerinnen und Hörer, oder ob ein Tag mit Sorgen und Fragen auf Sie wartet: In allen Dingen soll Gott dabei sein!

Segen

MUSIK
Johann Sebastian Bach, Schlusschoral der Kantate:
„Der Herr ist mein getreuer Hirt“ BWV 112
Gutes und die Barmherzigkeit
Folgen mir nach im Leben.
Und ich werd bleiben allezeit
Im Haus des Herren eben.

(im Bayerischen Rundfunk/Hörfunk)