Predigt über Gewalt vom 23. Juli 2017
16. Sonntag im Jahr A Röm 8.26f Mt 13,24-30
Unkraut nicht ausreißen
Von Zeit zu Zeit werden wir von Terroristen durch Terroranschläge aufgeschreckt und dann wird wieder mal ein paar Tage verstärkt über den Terror diskutiert. Aber das Thema Gewalt sollte uns eigentlich grundsätzlich interessieren. Da sind wir als Christen herausgefordert, mitzureden. Ich finde, es reicht nicht aus, nur zu jammern und zu klagen: „Ist das schlimm, das ist ja fürchterlich und schrecklich, wie kann man nur so böse sein, aber was soll man machen,“ usw. und dann sind wir heimlich froh, dass das Ganze nicht vor unserer Haustür passiert ist. Aber auch in München und in Fürstenfeldbruck passiert so einiges. Da gibt es auch Kriminalität. Und je größer das Böse ist, umso mehr neigen manche dazu, dieses Böse radikal zu bekämpfen und das Unkraut mit der Wurzel auszureißen. Aber Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, das hat eigentlich noch nie wirklich funktioniert.
Die Frage der Knechte im Evangelium, „Woher kommt denn das Unkraut“, stellen wir manchmal auch, doch so allgemein gestellt kann man diese Frage auch nur allgemein beantworten und sagen: Das Böse kommt vom Teufel (Mt 13,39), oder so ähnlich. Aber das bringt uns nicht weiter. Die eigentliche Frage ist nicht, wo das Böse herkommt und ob es den Teufel gibt, die Frage ist, was ich mit dem Bösen anfangen soll, wie ich mit dem Bösen umgehen kann.
Da nehme ich heute vier verschiedene Möglichkeiten in den Blick, mit dem Bösen umzugehen:
1. Ignorieren. Gerade bei vielen Kleinigkeiten des Alltags ist es oft das Beste, das Böse nicht ernst zu nehmen. In einem Psalm (34,15) heißt es: Meide das Böse und tu das Gute. Das könnte auch heißen: sprich lieber über das Gute als über das Böse. Wenn ein Mensch, mit dem ich mich eigentlich immer gut verstehe, plötzlich eine blöde Bemerkung macht, dann muss ich nicht lange darüber philosophieren oder psychologisieren, wieso und warum. Jedem kann mal eine eigenartige Bemerkung oder ein unüberlegtes Wort über die Lippen kommen, besonders wenn jemand so wenig wortgewandt ist wie ich :-) Ich muss auch nicht unbedingt alle Konflikte bereinigen, alle Missverständnisse ansprechen, mich gegen jede Beleidigung verteidigen. Besser ich sage einfach ein freundliches Wort, dann ist die negative Bemerkung schnell vergessen.
Wenn dumme Gerüchte über andere in die Welt gesetzt werden, kann ich die meistens auch vergessen. Wer über andere schlechtes verbreitet, ist selber schon dadurch ebenso ein Übeltäter. Ich sage gern: Wenn jemand schlecht über andere redet, dann ist das mehr eine Aussage über den, der da redet als über den, über den da gesprochen wird.
Und wenn mir ein Missgeschick passiert und ich denke: „Da hat jemand seine Hand im Spiel, der mir etwas übles will“, dann habe ich wohl einen leichten Verfolgungswahn. Auch solche Wahngedanken kann man am Besten ignorieren. Oft vergeht das Böse von selber, wenn man ihm keine Beachtung schenkt, wenn wir das Augenmerk auf das Gute richten, wenn wir Gutes denken, reden und tun.
Eine 2. Möglichkeit, mit dem Bösen umzugehen, ist, beim eigenen Bösen ansetzen. Manchmal sehe ich das Unkraut beim andern, statt bei mir selbst. Dann trifft das Wort Jesu von dem Splitter im Auge des anderen und dem Balken in meinem eigenen Auge (Mt 7,4). Andere Menschen kann man nicht einfach so von außen her ändern, aber wenn einer sagt: „Ich möchte mich ändern, ich möchte dazulernen“, dann kann ich ihm eine Hilfestellung geben. Und am besten gelingt mir das, wenn ich dasselbe Unkraut bei mir selber auch schon mal gehabt habe, und es bei mir selber erfolgreich bekämpft habe. Denn dann weiß ich wahrscheinlich besser, mit welchem Mittel dieses Unkraut zu vertilgen ist. Der Hl. Benedikt sagt in seiner Mönchsregel vom Abt: „Muss er zurechtweisen, handle er klug und gehe nie zu weit, damit das Gefäß nicht zerbricht, wenn er es allzu sauber vom Rost reinigen will. Er schaue immer auf seine eigene Gebrechlichkeit und denke daran, dass man das geknickte Rohr nicht vollends zerbrechen darf“ (RB 64,12-14).
Bei schweren Verbrechen kann es 3. hilfreich sein, dasselbe Böse, das ich beim anderen beobachte, bei mir selber wenigstens ansatzweise für möglich zu halten. Wenn ich von vorn herein sage, „So etwas Schlimmes würde ich ja nie tun“, dann überhebe ich mich über den anderen, dann halte ich mich selbst für besser. Das wäre Stolz. In vielen äußerlich braven Leuten stecken insgeheim kleine Terroristen, deren Worte wie kleine Bomben hochgehen. Wenn ich aber meine eigenen Aggressionen wahrnehme, wenn ich z.B. sage, „eigentlich täte ich das auch ganz gern, nur habe ich mich zum Glück bisher immer noch beherrschen können“, dann entsteht in mir eine Solidarität mit dem Übeltäter, ein Mitgefühl, aus dem heraus ich Verständnis, Mitleid und Barmherzigkeit aufbringen kann.
Es hat eine große Wirkung, anlässlich von Gewalt nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täter zu beten. Es geht darum, in den Tätern nicht nur das Unmenschliche, sondern das Menschliche zu sehen, die menschliche Not, die dahintersteckt. Denn wer seine Mitmenschen terrorisiert, der zeigt damit, dass er mit irgendetwas in seinem eigenen Leben nicht zurechtkommt. Es sind oft arg frustrierte Menschen, die keinen anderen Weg mehr sehen, als Gewalt anzuwenden. Das soll keine Entschuldigung sein, es ist aber eine spirituelle Hilfe für uns, eine geistige Brücke zu bauen und die Menschheit nicht zu spalten in Gute und Böse. Denn nur aus dieser Geisteshaltung der Verbundenheit heraus können wir im Frieden bleiben, können wir Weizen und Unkraut zusammen wachsen lassen. Und noch etwas: Je mehr ich den Übeltäter hasse, umso größer wird auch meine Angst vor ihm. Je mehr ich ihn aber als Menschen annehme, umso mehr kommt Barmherzigkeit in mir auf.
Eine 4. Möglichkeit des Umgangs mit dem Bösen ist: Trauern und Weinen. Es ist ein großer Unterschied, ob ich sage, „das macht mich wütend“, oder ob ich sage, „das macht mich traurig.“ Wut zerstört, Trauer baut auf. Die Lesung aus dem Römerbrief sprach vom Gebet mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können, ein Gebet, das vom Hl. Geist kommt. Aber Trauer ist in unserer Welt verpönt, wird als Schwäche angesehen. Dabei ist Trauer eigentlich eine Stärke. Doch wenn wir Trauer durch Wut ersetzen, steigt in unserer Gesellschaft die Gewaltbereitschaft. So wird verdrängtes Leid eine Ursache für Gewalt. Es liegt eine geheimnisvolle und doppelte Kraft in den Tränen: Für das Böse sind sie ein Unkrautvertilgungsmittel und für das Gute sind sie ein hervorragender Dünger. Tränen fordern das Gutsein des Menschen heraus.
Liebe Schwestern und Brüder, vor 40 Jahren hat man noch über die sogenannten Weltverbesserer gelächelt. Und heute spöttelt man über Gutmenschen. Doch was sonst ist unsere Aufgabe als Christen, als dass durch uns die Welt ein Stückchen besser wird? Menschlicher und lebenswerter? Wir müssen das Unkraut nicht wuchern lassen. Aber wenn wir uns immer vor Augen halten, dass Gott der letzte Richter über gut und böse ist, und nicht wir selber, dann gewinnen wir die nötige Gelassenheit und Klugheit im Umgang mit dem Bösen. Dann werden wir nicht vor lauter Ungeduld auch den Weizen ausreißen, wenn wir dem Unkraut zu Leibe rücken.