Predigt zum 9. Sonntag nach Ostern
Predigt zum 9. Sonntag nach Ostern
Neunter Sonntag nach Ostern, Lesjahr B
Mk 2,23 – 3,6 Gebote halten
In der Zeit unserer Eltern und Großeltern war die religiöse Erziehung weitgehend davon geprägt, den Menschen das Einhalten von Geboten einzuschärfen. Die 10 Gebote musste man kennen, und im Beichtunterricht lernte man, diese Gebote, die ja aus dem Alten Testament stammen, auf die heutige Zeit anzuwenden. Wer in einer bestimmten Sache nicht genau weiter wusste, konnte im Katechismus nachlesen, was richtig und was falsch war.
Die Frage dabei ist immer: wie genau kann man eine Situation beschreiben? Das Leben ist so vielfältig, dass ein ganzes Bücherregal mit Katechismus oder eine große externe Speicherplatte nicht ausreichen würde, um jeden möglichen Fall schriftlich zu regeln. Zum Glück haben die meisten von uns noch so etwas wie den gesunden Menschenverstand, das Gewissen, das uns in unseren alltäglichen Entscheidungen leitet.
Im Evangelium zeigt uns Jesus heute, wie er mit dem Sabbatgebot umgeht. Sein Kriterium ist: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat (V.27). Regeln und Gesetze sollen also den Menschen dienen, sollen das Zusammenleben regeln und erleichtern. Jesus lässt seine Jünger am Sabbat Ähren pflücken und essen, und er heilt am Sabbat. Die Reaktion der Pharisäer: Das geht ja überhaupt nicht. Der will den Sabbat abschaffen. Dieser Jesus muss weg. Doch das ist zu einfach gedacht: Jesus sagt an anderer Stelle: Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (Mt 5,17).
Kleine Kinder brauchen feste Regeln, solange die Unterscheidungsgabe noch nicht ausgeprägt ist, solange der Überblick über die Situation noch nicht da ist, solange die geistige Fähigkeit noch nicht ausreicht, um selbständig sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
„Messer, Gabel, Schere, Licht, taugt für kleine Kinder nicht“, sagte meine Mutter, als ich noch klein war. Bis ich dann sagte: Nein, stimmt nicht, Kinder müssen lernen, mit Messer, Gabel, Schere, und Feuer richtig umzugehen. Ich will das können.
Als Kind habe ich gelernt: Bei roter Ampel geht man nie über die Straße. Und das Bewusstsein „ich halte mich an die Regeln der Erwachsenen“ hat mich innerlich ein Stück weit größer werden lassen. Ich kam mir da erwachsener vor. Später, in der Pubertät, kam ich eines nachts an eine rote Fußgängerampel, kein Auto in der Nähe, nur ganz hinten weit kam einer. Bis der da ist, bin ich dreimal drüber, und der hat dann grün. Wenn ich jetzt die Ampel drücke und auf grün warte, habe ich erstens Zeit verloren und zweitens schalte ich dem Autofahrer die Ampel auf rot. Also hatte ich zwei Gründe, bei rot über die Ampel zu gehen. Da wäre ich schön blöd gewesen, hätte ich auf grün gewartet. Wenig später habe ich dann gehört: „Bei rot gehst du besser nicht über die Ampel, wenn kleine Kinder in der Nähe sind, die das sehen könnten.“ Das ist noch mal ein anderer Aspekt. - Was hätte Jesus dazu gesagt?
Jesu Umgang mit dem Sabbatgebot zeigt uns ein Beispiel der christlichen Freiheit. Aber Freiheit hat auch ihre Grenzen. Nur wo? In Tirol erlebte ich alte Frauen, die klagten darüber, dass die Jungen das Sonntagsgebot nicht mehr hielten. Ihr Gottesdienstbesuch schien mir vor allem die Erfüllung einer Sonntagspflicht zu sein. Da habe ich gesagt, die Leute sollten aus Freude am Gottesdienst zur Messe kommen, nicht aus Pflicht. Das haben die alten Frauen mir übelgenommen. „Der Regino will die Sonntagspflicht abschaffen.“ Wenn sie wenigstens gesagt hätten, „Wir wollen unsere Sonntagskultur aufrechterhalten“, dann hätte ich das noch akzeptiert. Aber einfach nur zu sagen: „Das war schon immer so“, „das haben wir früher auch tun müssen“, „das gehört sich so“ oder „das steht so im Katechismus“, das ist mir doch zu wenig. Das klingt mir sogar etwas verbittert, wie bei den Leuten mit dem verstockten Herzen, mit denen Jesus hier zu tun hatte.
Ich habe kein grundsätzliches Problem damit, wenn Traditionen gepflegt werden. Unsere ganze Liturgie ist ja auch so ein religiöses Brauchtum. Aber die Traditionen müssten aus Liebe gepflegt werden. Nicht nur aus Pflicht, nicht mit Verbissenheit, sonst wird es ein Krampf. Wenn der Sonntag für den Menschen da ist, dann muss auch die Frage erlaubt sein: „Was bringt mir der Gottesdienst?“ Welchen geistlichen Gewinn ziehe ich daraus? Welche Werte verwirkliche ich da? Habe ich Freude daran? Ist der Gottesdienst wirklich etwas für den Menschen? Für mich? - Ich wünsche uns allen, dass wir solche Fragen gut beantworten können. Ansonsten lohnt es sich, nach einer positiven Antwort zu suchen. Damit ich anderen mitteilen kann, was meine Motive sind und mein Zugang zum Gottesdienst. Auch gute Gewohnheiten gehören reflektiert, überdacht, damit ich sie umso authentischer und glaubwürdiger pflegen kann.
Was aber, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die so ein verstocktes Herz haben? Was nutzt uns die christliche Freiheit, wenn engstirnige Menschen sie uns nicht gönnen? Wie sollen wir reagieren, wenn wir behandelt werden wie Jesus von den Pharisäern behandelt wurde? Jesus sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz (Mk 3,5). Ich denke, Zorn bringt uns in einer solchen Situation nicht weiter, Trauer aber schon. Zorn würde nur Gegenaggression bewirken. Trauer aber bewegt die anderen Menschen eher zum Umdenken. Trauer hat mit Ohnmacht zu tun. Wer freiwillig in die Ohnmacht geht, kann erleben, dass in der Schwäche eine Stärke liegt. Schon Paulus sagte einmal: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2 Kor 12,10). Ein unsicherer Mensch, der an Gesetzesregelungen klebt und durch solche Rückversicherung stark sein will, kann sich verwandeln, wenn er andere Menschen erlebt, die sich Schwäche, Ohnmacht und Trauer zugestehen und erlauben.
Liebe Schwestern und Brüder, Jesus ist nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen. Lasst uns also die Gebote halten. Aber welche? Es geht um die Gebote Gottes, nicht um menschliche oder kirchliche Gebote, die in früheren Zeiten aufgeschrieben und festgelegt wurden. Viktor Frankl sagte einmal: „In einem Zeitalter, in dem die 10 Gebote für so viele ihre Geltung zu verlieren scheinen, muss der Mensch instandgesetzt werden, die 10000 Gebote zu vernehmen, die in den 10000 Situationen verschlüsselt sind, mit denen ihn sein Leben konfrontiert“. Gott spricht zu uns in diesen 10000 Situationen. Gottes Gebote finden wir im Gebot der Stunde.