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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zum Patroziniumsgottesdienst St. Cosmas und Damian in Burgheim

Das Glaubenszeugnis der beiden Ärzte verpflichtet. „Sich mit dem Ziel meines Lebens auseinandersetzen.“

25.09.2022

Lieber Herr Pfarrer Dippel, lieber Werner, liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder, vielleicht ging es Ihnen gerade wie mir: bei den Worten aus dem Propheten Amos fiel mir unwillkürlich ein, dass wir in München gerade Wies‘nzeit haben! Aber auch wenn es klingt, als wäre der letzte Satz der ersten und der erste der 2. Lesung aufeinander abgestimmt: „Das Fest der Faulenzer ist vorbei.“ (Am 6,7) Und: „Du aber, ein Mann Gott, flieh vor alldem!“ (1 Tim 6,11) wünsche ich den Menschen, die sich auf der Wies‘n vergnügen, viel Freude.

Dennoch: Auch das Evangelium schlägt einen ernsten Ton an und lädt dazu ein, dass wir über dieses irdische Leben hinausblicken und uns selbst Rechenschaft geben, wie und wofür wir leben. Die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus lässt sich ganz knapp in einem anderen Jesuswort zusammenfassen: „Die letzten werden die ersten sein“ (Lk 13,30). Dieser Satz ist zum geflügelten Wort geworden und wir schmunzeln dabei, wenn wir selbst diejenigen sind, die wider Erwarten zuerst drankommen. Wie aber, wenn es umgekehrt ist und wir in der „Ersten Welt“ denen in der „Dritten“ und „Vierten“ Welt Platz machen müssen? Es ist gut, heute, am Caritassonntag zum Auftakt der Herbstsammlung, nicht einfach über solche vielleicht unangenehmen Gedanken hinwegzugehen.

Gleichzeitig feiern wir heute das Patrozinium Ihrer Pfarrkirche, die heiligen Brüder Cosmas und Damian. Über den Märtyrererzählungen der ersten Jahrhunderte liegt meist viel Staub - wie Patina auf einem alten Bild, das man beim Ausräumen auf den Dachboden findet. Und doch kann es passieren, dass plötzlich manches, längst Vergessene besondere Bedeutung gewinnt. So ging es, als ich noch einmal nachlas, dass das Ärztebrüderpaar in derselben Verfolgungswelle unter Kaiser Diokletian ermordet wurde wie unsere Bistumspatronin, die hl. Afra. Während sie aber der Tradition nach vom afrikanischen Kontinent hierher verschleppt und vor den Toren Augsburgs auf dem Lechfeld für den Feuertod bestimmt wurde, heißt es von den beiden Ärzten, dass sie in Syrien, in ihrer Heimat, enthauptet wurden.

Wir haben sie noch, die fast zweitausend Jahre alten lateinischen Märtyrerakten vieler Christinnen und Christen - und manchmal machen auch die Schülerinnen und Schüler im Lateinunterricht mit ihnen Bekanntschaft. Das ist beeindruckend zu lesen und sehr viel leichter zu übersetzen als Caesars Gallischer Krieg. Denn die Verhöre der römischen Beamten liefen oft nach demselben Muster ab: Nach der Aufnahme der Personalien und der Weigerung, dem Kaiserstandbild ein Weihrauchopfer darzubringen, kam die dreimalige Frage: Bist Du Christ? Wurde dies bejaht, folgte das Todesurteil.

In vielen Ländern der Erde werden Christen bis heute schikaniert und ausgegrenzt, rechtlich nicht mit der vorherrschenden Religionsgemeinschaft gleichgestellt oder müssen gar in den Untergrund gehen. Erst letzten Sonntag, immer am Sonntag nach dem Fest Kreuzerhöhung, haben wir im Dom der verfolgten Christen in aller Welt gedacht und für sie den Kreuzweg gebetet.

Ja, die beiden Kirchenpatrone hier in Burgheim sind Märtyrer - wie viele ihrer Landsleute seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 2011, der längst zu einem Weltkrieg geworden ist, weil sich beinahe jedes Land eine der beiden Kriegsparteien zugeschlagen hat: Syrien mit seiner uralten christlichen Tradition, - in der Hauptstadt Damaskus hat immerhin Paulus seine Christusvision gehabt, die ihn vom Mörder zum Apostel werden ließ -, dieses einstige Kernland des christlichen Glaubens, es blutet aus und wir können nur hoffen, dass die syrischen Glaubensschwestern und -brüder, die es bis zu uns geschafft haben, hier eine Zuflucht finden und ihre Liturgie, ihr Brauchtum in Frieden und Sicherheit pflegen können.

Cosmas und Damian sind nicht nur Patrone der Apotheker, Ärzte, Chirurgen, Drogisten, Zahnärzte, Ammen, Physiker, Friseure, Zuckerbäcker und Kaufleute, sondern werden auch gegen Krankheiten bei Pferden, gegen Geschwüre und - gegen Epidemien angerufen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts (1411) erst hat man hier in Burgheim mitten in einer Pestwelle nach einem Kirchenneubau entschieden, statt des bisherigen Patrons, des hl. Nikolaus, die beiden Ärztebrüder zu Patronen zu erwählen. Vielleicht haben Sie sich auch in den vergangenen Corona-Jahren daran erinnert und durften hoffentlich die wirkmächtige Fürsprache der Heiligen erfahren!

Das heutige Evangelium macht unmissverständlich klar: Wir sind als Menschen zur Entscheidung herausgefordert. Das Beispiel von Cosmas und Damian, von Afra und all den unbekannten Märtyrern früher und heute zeigt uns: Wer sich zu Christus bekennt und nach seinem Vorbild lebt, provoziert Widerspruch. Es gibt sie immer noch: innerhalb und außerhalb der Kirche, Menschen, die sich nicht verbiegen lassen, die den zehn Geboten und dem Beispiel Jesu folgen, auf die Stimme ihres Gewissens hören und deshalb große Nachteile auf sich nehmen, bis dahin, dass sie ihr Leben in die Waagschale werfen.

„Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, vor dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ (Mt 10,32) Dieses Wort Jesu bleibt wahr, denn es ist mit Blut bezeugt, mit dem Tod am Kreuz. Von Cosmas und Damian selbst ist kein einziges Wort überliefert, doch ihre Taten sprechen für sich: Sie haben ihr Wissen und ihr berufliches Können in den Dienst der Kranken und Leidenden gestellt, besonders derer, die wie der arme Lazarus kein Geld hatten, um sich Linderung, Medizin oder eine Operation leisten zu können.

Die beiden Blutzeugen zählen zu den ersten, deren Todestag die frühen Christen jährlich begangen haben. In größeren Gemeinden begann man schon im 3. Jahrhundert damit, Märtyrer- und Bischofslisten zu führen. Sie bilden als Martyrologium die Grundlage für die kirchliche Festkalendertradition. Sind wir uns bewusst, dass die Kirche sich auf dem Zeugnis dieser bekannten und sehr, sehr vieler unbekannten Glaubenszeugen auferbaut?

Wir haben während der schlimmen Phasen von Corona gemerkt, wie sehr der Tod immer noch ein Tabu ist, man spricht nicht darüber. Viele vermeiden es leider selbst im hohen Alter ihre Angelegenheiten zu regeln, eine Patientenverfügung und ein Testament zu machen. Lassen Sie sich vom heutigen Patrozinium dazu anregen, in der Familie einmal ganz offen über diese Dinge zu sprechen. Bringen wir unsere Sorgen, vielleicht auch geheimen Ängste vor Gott zur Sprache und lassen wir die Menschen, die uns am nächsten stehen nicht im Ungewissen über unseren letzten Willen.

Dazu muss man nicht erst über 70 Jahre alt sein, im Gegenteil: Es ist gut, sich schon in jungen Jahren mit dem Ziel meines Lebens auseinanderzusetzen. Paulus hat, wie wir gehört haben, seinen Freund und Schüler Timotheus dazu ermutigt: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist und für das du (…) das Bekenntnis abgelegt hast!“ (1Tim 6,12) Für gläubige Menschen ist der Tod nicht Endpunkt, sondern Durchgang zum Ziel unserer Sehnsucht. Das geistliche Testament eines 1996 ermordeten französischen Trappistenmönches aus dem algerischen Atlasgebirge legt auf ergreifende Weise Zeugnis darüber ab:

P. Christian de Cherge lebte als Prior der Gemeinschaft Notre-Dame de l'Atlas, in guter Nachbarschaft mit der weitestgehend muslimischen Bevölkerung. Doch zu Beginn der 90er Jahre nahm in Nordafrika die Radikalisierung durch islamistische Gruppierungen zu. Christen wurden zunehmend unter Druck gesetzt und auch die französischen Mönche mussten sich mit der Frage beschäftigen, ob sie ihr Kloster aufgeben sollten. Im Dezember 1993 mit 56 Jahren verfasste P. Christian ein geistliches Testament, das man in seinem Nachlass gefunden hat. Ich gebe es hier in Auszügen[1] wieder:

"Wenn es mir eines Tages zustoßen sollte - das könnte schon morgen geschehen -, dass ich zum Opfer von Terrorismus werde, der sich inzwischen auch gegen alle Ausländer in Algerien zu richten scheint, dann möchte ich, dass meine Mitbrüder, meine Kirche und meine Familie sich daran erinnern, dass mein Leben Gott und diesem Land geschenkt war. (...) Sie sollen diesen Tod in Zusammenhang mit so vielen anderen Toden sehen, die ebenso gewaltsam waren, doch in der Gleichgültigkeit unserer Tage namenlos geblieben sind. Mein Leben hat keinen höheren Preis als ein anderes, aber auch keinen geringeren. (...) Ich habe lange genug gelebt, um zu wissen, dass auch ich Komplize jenes Bösen geworden bin, das leider die Oberhand in der Welt zu behalten scheint; Komplize sogar dessen, der mich einst erschlagen wird. Ich will, wenn dieser Moment gekommen ist, die ruhige Klarheit haben, dass ich um die Verzeihung Gottes und meiner Mitmenschen bitten darf. Aber auch, dass ich jenem von Herzen vergeben kann, der mich töten wird.

Wichtig ist mir zu sagen: Ich kann mir einen solchen Tod nicht wünschen. Wie könnte ich mich freuen, dass dieses Volk, das ich liebe, ohne jeden Unterschied wegen meiner Ermordung angeklagt werden wird? Was man zuweilen als 'Gnade des Martyriums' bezeichnet, ist zu teuer bezahlt, wenn man sie einem Algerier schuldet - wer immer er auch sei; vor allem wenn er sagt, er handele aus Treue zu dem, was er als den Islam ansieht.

Ich weiß sehr gut, wie sehr man die Gesamtheit der Algerier verachtet. Ich kenne auch jene Zerrbilder des Islam, die durch islamistischen Fundamentalismus hervorgerufen werden. (…) Algerien und der Islam sind für mich etwas anderes; sie sind wie Leib und Seele! (...) Mein Tod scheint jenen Recht zu geben, die mich vorschnell als naiv oder zu idealistisch gehalten haben. (...) Doch sie müssen auch wissen, dass nun auch meine brennendste Neugier zufriedengestellt sein wird: Nun werde ich, wenn es Gott gefällt, meinen Blick mit jenem des Vaters vereinen dürfen (...)

In meinen Dank, mit dem nun alles über mein Leben gesagt ist, schließe ich euch ein, Freunde von gestern und von heute (...). Und auch du bist eingeschlossen, Freund meines letzten Augenblicks, der du nicht weißt, was du tust! (…) Möge es uns geschenkt sein, dass wir uns einst glücklich im Paradies wiedersehen, wenn es Gott, unser beider Vater, so gefällt. Amen - inschallah."

Liebe Burgheimer,

vor über 600 Jahren haben Sie leuchtende Zeugen aus Syrien zu Ihren Kirchenpatronen gewählt, ich beglückwünsche Sie dazu. Mögen Sie zusammen mit ihnen und allen Märtyrern für Christus treu zum Herrn stehen, der, wie Paulus uns erinnert, „vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis abgelegt hat und als Zeuge dafür eingetreten ist.“ (1 Tim 6,13). Amen.

Lasst uns nun froh und dankbar unseren Glauben bekennen…

[1] Zit. n. Das geistliche Testament des Trappisten-Priors von Tibhirine - DOMRADIO.DE (aufgerufen 18.09.2022)