"Lebensspur in unserem Herzen"
Sehr geehrter Herr Regionalbischof, lieber Axel,
sehr geehrte Frau Pfarrerin Wagner,
lieber Herr Pfarrer Markter, lieber Florian,
sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Herr Mayer,
liebe Meringerinnen, liebe Meringer,
liebe Gäste aus nah und fern,
liebe Schwestern und Brüder,
wenn eine Marktgemeinde auf eine 1000jährige Geschichte zurückschaut, wie Sie hier in Mering, dann ergreift uns wohl alle, ganz gleich wie alt wir selbst sind, ein Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens angesichts dieser schier unüberschaubaren Zeitspanne. 1000 Jahre übersteigen unser Vorstellungsvermögen und es braucht schriftliche Zeugnisse, damit wir eintauchen können in eine Geschichte von diesem gewaltigen Umfang. Unser menschliches Gedächtnis ist oft allzu kurz; Schnelllebigkeit und Reizüberflutung heißen ja die Schlagworte unserer Tage…
Obgleich wir heute von einer längeren durchschnittlichen Lebensdauer ausgehen dürfen als die Menschen früherer Jahrhunderte, bleibt die Endlichkeit unseres Lebens ein Schmerz, ja wie es Sigmund Freud formulierte „eine Kränkung“, mit der wir leben lernen müssen. Doch erst von der Vergänglichkeit her wird unser unwiederholbares, einziges Leben kostbar: Jeder Augenblick, den wir bewusst leben, vor allem, wenn wir ihn in Gemeinschaft erleben dürfen wie jetzt, erhält Kontur und wird zu einer Lebensspur in unserem Herzen.
Vor allem Gottesdienste sind Zeiten des Erinnerns, der Vergegenwärtigung dessen, was früher geschehen ist und dessen Wirkung in unsere Gegenwart hineinreicht. Durch die gemeinsame Erinnerung und Vergewisserung erhalten wir alle Teilhabe an den Ereignissen der Vergangenheit und können gestärkt durch Wort (und Sakrament) in unseren Alltag zurückkehren.
Dies ist auch der Hintergrund, vor dem der Verfasser des Petrusbriefes, aus dem wir gerade einen Auszug gehört haben, spricht. Ihm geht es darum, der Gemeinde, die angesichts des Ausbleibens Christi verunsichert ist, Hoffnung und Zuversicht zu geben. Denn es haben sich Skeptiker breitgemacht; innerhalb und außerhalb der christlichen Gemeinschaft führen sie das große Wort und stellen den überlieferten Glauben in Frage. Diejenigen, die fest auf die Botschaft des Evangeliums vertrauen und auf die Wiederkunft Christ am Ende der Zeiten erwarten, werden als die Dummen, die Ewiggestrigen dargestellt, die den Pfarrern auf den Leim gegangen sind.
Kommt uns das nicht sehr bekannt vor?
Gläubig zu sein und vor allem in der aktuellen Krise treu zur kirchlichen Gemeinschaft zu stehen, löst auch heute bestenfalls Kopfschütteln, oft aber Unverständnis und Spott aus: Wie kann man nur einem solchen Verein angehören! Und es stimmt ja: Wir haben als Mitglieder der Kirche/der Kirchen viel Glaubwürdigkeit verspielt. Umso mehr müssen wir uns die Frage stellen: Wie können wir das Evangelium, die frohe Botschaft, die Christus in die Welt gebracht hat und deren Zeugen wir sind, wieder zum Leuchten bringen?
Voraussetzung dafür ist Wahrhaftigkeit und Umkehr. Wie bei den ersten Christen ist heute die Entscheidung jedes einzelnen gefragt: Was bedeutet mir der Glaube, habe ich eine Beziehung zu Gott und wie pflege ich sie? Menschen, die vor uns gelebt und gelitten haben, können uns dabei Vor-Bild sein - Menschen wie Pater Alfred Delp SJ, der sich zusammen mit dem sog. Kreisauer Kreis Gedanken über die Zeit nach dem Nationalsozialismus gemacht hat, der verhaftet und zum Tod verurteilt wurde. Er schreibt am 17. November 1944 aus dem Gefängnis: „Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.“
Wie steht es mit uns: Bleiben nicht auch wir in der Vergangenheit hängen und übersehen dabei das, was vor uns liegt, was jetzt dran ist? Auf die Gegenwart kommt es an, immer wieder auf die Gegenwart. Lasse ich Gott ein in mein Leben, lasse ich zu, dass er mich verändert?
„Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn ER kommt“ – heißt es in einem Lied, das vor allem junge Leute gerne singen. Diese Zeilen bringen es auf den Punkt: Wir sollten über der unbedingt notwendigen Aufarbeitung angesichts der dunklen Kapitel der Geschichte, auch der jüngsten Kirchengeschichte, nicht die Gegenwart aus dem Blick verlieren. Schuld ist immer an individuelle Verantwortlichkeit gekoppelt. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern es geht um uns, um jeden einzelnen von uns. Deshalb haben wir vorhin auch im Confiteor, im Schuldbekenntnis unser persönliches Versagen vor Gott und den Menschen bekannt – im Vertrauen darauf, dass Umkehr und Neubeginn möglich ist. Gott hat es uns in Jesus Christus zugesagt: Er ist für uns zum Retter geworden, wie es der 2. Petrusbrief bekennt.
Dies hat Konsequenzen, meine lieben Schwestern und Brüder, für unser Miteinander, hier in Mering, in unseren Kirchengemeinden und Pfarreien, im Kirchenkreis und im Bistum Augsburg. Denn die Menschen, die auf der Suche sind nach Orientierung und nach Orten und „Zeiten des Aufatmens“ (vgl. Apg 3,20), wollen an uns ablesen, woher das Licht für ihr Leben kommt! Wir sind alle Teil einer Geschichte, die täglich, stündlich fortgeschrieben wird – denn Geschichte ist nie statisch, sondern immer dynamisch und lädt uns ein, beweglich zu bleiben. An uns liegt es, welche Färbung das jeweilige Kapitel der Gegenwart bekommt: Schaffen wir Raum für den „Herrn der Verheißung“ (2 Petr 3,9)? Sind wir die Vorboten, die sein Kommen ankündigen?
Ich wünsche es uns, dass wir immer mehr dazu werden: Denn die Wiederkunft Jesu Christi wurde zu allen Zeiten mit Sehnsucht erwartet – auch heute sind es vor allem diejenigen, die um ihr Überleben kämpfen und nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, die Schwachen, Kranken und sprachlos Gewordenen, die die Erinnerung an den Erlöser wachhalten. Jedes Jahr im Advent sind wir eingeladen, dieser tiefsten Sehnsucht in uns Raum zu geben: Komm, Du Heiland aller Welt!
Lassen wir uns nicht beirren, wenn der Herr über Zeit und Ewigkeit nicht sichtbar eingreift in das oft von Leid und Not geprägte Weltgeschehen. Er ist doch da, er ist doch am Werk: in jedem guten Wort, in jeder helfenden Tat, ja in jedem Blick, der mir sagt: „Ich sehe Dich und es ist gut, dass es Dich gibt.“ Liebevoll und gütig spricht der Verfasser des 2. Petrusbriefes seine Adressatengemeinde an; lassen auch wir uns von ihm Trost und Hoffnung zusprechen. Machen wir uns die Geduld Gottes zu eigen, der niemanden vor der Zeit verurteilt, „weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle zur Umkehr gelangen“ (2 Petr 3,9). Dies ist das Geheimnis der Gnade, der Begnadigung - ein Moment, das heute wieder in Vergessenheit zu geraten droht, wo Vorverurteilungen und Hassmails Konjunktur haben, Gnadenlosigkeit aber allzu oft nur Ausdruck von wohlfeiler Selbstgerechtigkeit ist.
Ich wünsche Ihnen, liebe Meringerinnen und Meringer, dass Sie sich gegen solche gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gemeinsam zur Wehr setzen können, dass Sie vielmehr zusammen mit Ihrem Bürgermeister, den Gemeinderäten, mit Pfarrerin und Pfarrer und allen, die sich hauptberuflich und ehrenamtlich für das Gedeihen der Marktgemeinde einsetzen, auch in Durststrecken immer gegenseitig ermutigen und stärken – in dem Bewusstsein: Tausend Jahre Mering haben wir geschafft, nun sollen auch die nächsten tausend Jahre gut werden - nach dem Motto: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn ER kommt.“ Amen.