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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zum Tag der geschwisterlichen Seelsorge in St. Ulrich und Afra

„Die KI ist nur Hilfsmittel, nie Lebewesen.“

04.07.2025

Sie wundern sich vielleicht über diese ungewöhnliche Zusammenstellung der Lesungstexte, die auch für einen Schöpfungstag im Herbst sehr gut passen würden. Tatsächlich aber soll hier schon ein Kontrapunkt zum Schwerpunkt des heutigen Nachmittags, der Künstlichen Intelligenz, gesetzt werden - gewissermaßen als vorbereitender Aufruf dessen, was wir in den Heiligen Schriften an zentralen Aussagen zur Kreativität Gottes, des Schöpfers allen Lebens, haben.

Im Buch der Sprichwörter schildert die personifizierte Weisheit, wie sie als Tochter Gottes Zeugin der Welterschaffung wird und ihre Freude an den Geschöpfen ein Ausdruck der Liebe und Verehrung gegenüber Gott selbst ist. „Frau Weisheit“ lädt alle lernbegierigen, suchenden Menschen ein, mit wachen Augen die Schönheit der Schöpfung wahrzunehmen und die Sinne für deren göttlichen Ursprung zu öffnen. Als Menschen sind wir Teil der Schöpfung, nicht ihr Haupt, Mitgeschöpfe und nicht Beherrscher dessen, was uns umgibt.

Diese Wahrheit gilt es auch heute wieder ins Gedächtnis zu rufen, wurde sie doch in den letzten beiden Jahrhunderten konsequent kleingeredet und im Rausch von Forschung und Wissenschaft, von Eroberung und Inbesitznahme sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Der Mensch hat sich zum Gott der Welt gemacht und statt seinem biblischen Auftrag zur Pflege des Garten Edens (Gen 2,15) nachzukommen, beutet er die Erde aus und gestaltet sie nach seinen Vorstellungen um – meist rücksichtslos gegenüber allem Leben, das sonst noch diesen Planeten bevölkert. Erst seit wenigen Jahrzehnten dämmert uns, dass wir so nicht weitermachen können, weil wir damit sehenden Auges unseren eigenen Lebensraum zerstören!

Und trotzdem: Gerade vielen jungen Menschen geht dieses Umdenken viel zu langsam. Sie greifen zu originellen und oft auch radikalen Mitteln, um die Weltgemeinschaft wachzurütteln, lösen damit allerdings nicht nur Kopfschütteln, sondern leider auch Aggressionen aus oder geraten mit dem Gesetz in Konflikt.

Hilft uns an diesem Punkt vielleicht weiter, was Paulus der jungen christlichen Gemeinde in Rom sagt?

„Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber nicht nur das, sondern auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, auch wir seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als (Töchter und) Söhne offenbar werden. Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet“ (Röm 8,22-24).

Paulus hebt auf die Gemeinsamkeit innerhalb der Schöpfung ab, in der der Mensch nur ein Teil ist; so knüpft er nahtlos an das Selbstverständnis der Tora und der alttestamentlichen Weisheitsliteratur an und greift eine allgemeine menschliche Erfahrung auf: zu seufzen ist in Momenten des Unbehagens, der Angst und des Nicht-mehr-Weiterwissens ein oft unwillkürlicher, nonverbaler Akt der Erleichterung. Wir verschaffen damit unserem Herzen Luft und spüren intuitiv die Solidarität mit allem, was wie wir lebt und leidensfähig ist. Fragen Sie nur die Kinder in Ihrem Umfeld, die ein Haustier haben, wie sehr sie davon überzeugt sind, dass der Hamster, die Katze, der Hund, aber auch ihr Pferd merkt, wenn es ihnen nicht gut geht, und sich dann besonders anschmiegsam und liebevoll verhält! Als Erwachsene sollten wir das nicht leichtfertig abtun, sondern eingestehen, wie sehr auch wir der Empathie eines fühlenden Gegenübers bedürfen.

Diese Passage aus dem Römerbrief macht außerdem deutlich, dass Paulus auf keinen Fall als Gewährsmann für die unbiblische, anthropozentrische Sicht der Welt herangezogen werden kann, wie sie bis heute weit verbreitet ist. Demgegenüber klingt es wie ein unmittelbarer Anschluss an diese Textstelle, wenn die Enzyklika Laudato si von Papst Franziskus in Nr. 83 unmissver­ständlich betont, dass „jede despotische und verantwortungslose Herrschaft des Menschen über die anderen Geschöpfe abzulehnen (ist)“. Und fortfährt: „Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir. Doch alle gehen mit uns und durch uns voran auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist, in einer transzendenten Fülle, wo der auferstandene Christus alles umgreift und erleuchtet. Denn der Mensch, der mit Intelligenz und Liebe begabt ist und durch die Fülle Christi angezogen wird, ist berufen, alle Geschöpfe zu ihrem Schöpfer zurückzuführen.“[1] Statt Krone der Schöpfung zu sein, kommt es dem Menschen also zu, seiner Verantwortung gegenüber dem Schöpfer und den Mitgeschöpfen so gut wie nur möglich gerecht zu werden.

Und wer dient dafür als Vorbild? Natürlich: Jesus Christus, der mensch­gewordene Gottessohn!

Ihn preist der Johannesprolog mit hymnischen Worten, die aber zugleich historische und ethische Implikationen aufweisen, die alle Getauften beherzigen sollten. Auch nach 2.000 Jahren stehen wir noch am Anfang, wenn es darum geht, durch Wort und Tat Zeugnis abzulegen für die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung. Das Geheimnis der Erlösung - und der Umkehrung all dessen, was hier auf Erden angeblich unumstößlich ist: das Blut, der Wille des Fleisches, der Wille des Mannes (Joh 1,13) -, die Theologie ist ihm wohl auf der Spur, aber nur die tätige Liebe wird zur Cooperatio Dei, zur Mitgestalterin, indem sie der Wirklichkeit Gottes Raum gibt!

Lassen also gerade wir in der Pastoral Tätigen nicht nach, uns in die Fülle der Weisheit und der Verheißungen Gottes zu vertiefen! Nicht zuletzt deshalb, weil mit der Künstlichen Intelligenz ein neuartiges, noch weitgehend unbekanntes Instrumentum Laboris entstanden ist, ein Werkzeug zum Guten wie zum Schlechten, das unseren Alltag wie viele Erfindungen erheblich verändern wird.

Sicher ist: Die Künstliche Intelligenz bleibt immer Hilfsmittel und wird nie Lebewesen, nie ein adäquates Gegenüber für uns. Doch zeigt die Erfahrung mit dem Phänomen der „Lesesucht“ oder auch „Lesewut“ im 18. Jahrhundert ebenso wie die Internetabhängigkeit unserer Tage, dass im ungeübten Umgang mit Neuerungen sehr wohl ein Gefahrenpotential existiert und auch ernst genommen werden muss. Als Seelsorgerinnen und Seelsorger, als Mitchristinnen und Mitmenschen sind wir aufgefordert, der Engführung und psychosozialen Verkümmerung entgegenzuwirken, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen, die zu vereinsamen drohen.

Sophia, die weise Tochter Gottes, hat vor Urzeiten bekannt: „Meine Freude ist es, bei den Menschen zu sein“ (Spr 8,31) und in Jesus Christus ist uns „die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschienen“ (Tit 3,4). Folgen wir unserem Herzen und leben auch wir diese wahrhaft frohmachende Botschaft!

[1] Zitiert nach Laudato si' (24. Mai 2015) | Franziskus