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Wichtiges
Predigt in der Wallfahrtskirche des Klosters Andechs zum 175-jährigen Jubiläum des Klosters

„Hebe deine Augen auf zu den Bergen“

07.06.2025

Lieber Abt Johannes, lieber Pater Korbinian, liebe Schwestern und Brüder! „Ich erhebe meine Augen zu den Bergen“ – diese Worte aus dem Psalm 121 fielen mir ein, als ich eingeladen wurde, heute auf den „Heiligen Berg“ nach Andechs zu kommen. Seit vielen Jahrhunderten ziehen Tausende Pilgerinnen und Pilger hierher, um ihren Dank und ihre Bitten vor Gott zu tragen. Dem Kreuz unseres Herrn Jesus Christus folgend, steigen sie auf diese Anhöhe, welche über dem Ostufer des Ammersees malerischer kaum liegen könnte.

Welch ein Segen, dass diese historisch so bedeutende Klosteranlage – nach den schwierigen Umbrüchen im Zuge der Säkularisation – durch die Errichtung von St. Bonifaz in München im Jahr 1850 als Stiftung von König Ludwig I. von Bayern neu belebt wurde. Durch den unermüdlichen Einsatz von Pater Magnus Sattler und seinen Mitbrüdern wurden in der Folgezeit umfangreiche Erneuerungen und Instandsetzungen durchgeführt. Die Wallfahrt blühte wieder auf. Darum wollen wir heute dieses 175-jährige Jubiläum zum Anlass nehmen und uns darüber freuen, wie gut sich das Kloster Andechs - als Priorat der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz - seitdem entwickelt hat.

In den vergangenen zweiundzwanzig Jahren trug Dr. Johannes Eckert hierbei als Abt die Verantwortung. Ihm sowie Pater Dr. Korbinian Linsenmann möchte ich von Herzen zum silbernen Priesterjubiläum gratulieren und Gottes Segen wünschen. Ich bin überaus dankbar für die stets gute Zusammenarbeit. Gemeinsam sind wir als „Pilger der Hoffnung“ unterwegs, um den Menschen die Frohe Botschaft unseres Herrn Jesus Christus zu verkünden.

Dass wir das heute hier in der wunderschönen Wallfahrtskirche auf dem „Heiligen Berg“ tun, war wohl auch der Grund, warum mir beim Betrachten der Schriftlesungen vom Vorabend des Pfingstfestes vor allem der „Berg“ aus der ersten Lesung des Propheten Joel (vgl. Joel 3,5) ins Auge fiel. Wie eingangs bereits erwähnt, musste ich an Psalm 121 denken, den der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy so wunderbar in seinem Elias-Oratorium vertont hat. „Hebe deine Augen auf zu den Bergen“ - wenn einer um die Bedeutung dieser Worte weiß, dann Abt Johannes, von dem bekannt ist, dass er ein begeisterter Bergsteiger ist, und sogar ein Buch[1] dazu geschrieben hat. Dies brachte mich auf die Idee, den beiden Jubilaren und uns allen drei kurze Gedanken mitzugeben, die um das Motiv des Bergsteigens kreisen. Ich habe sie mit den Worten überschrieben: Mit Jesus aufsteigen (1), mit Jesus rasten (2) und bei Jesus ankommen (3).

1. Mit Jesus aufsteigen

Als Priester haben wir sicherlich alle den Tag unserer Weihe in Erinnerung. Im Falle von Johannes Eckert und Korbinian Linsenmann war es der 10. Juni 2000, wie heute der Tag vor dem Pfingstsonntag, an dem die beiden von einem meiner Vorgänger im Amt des Bischofs, Viktor Josef Dammertz, hier in Andechs geweiht wurden. Es ist wie der Beginn einer Reise oder wie der erste Schritt einer Bergtour, wenn wir uns entscheiden, unser ganzes Leben dem Herrn zu weihen und in seinem Namen für die Menschen da zu sein. Immer mit im Gepäck sind dann Fragen wie „Was erwarten die Leute von mir?“ oder „Was erwarte ich von mir?“, und sicherlich auch „Was erwartet Gott von mir?“. Wahrscheinlich hatten wir alle gewisse Vorstellungen, wie wir auftreten wollen und worin vermutlich unsere Stärken liegen. Womöglich hatten wir auch Träume und Visionen, wie es heute bei Joel zu hören war (vgl. Joel 3,1). In jedem Fall wollten wir unseren Weg mit Jesus gehen, der uns in allem führen sollte. In dieser Überzeugung zog auch der Apostel Paulus los, denn er war, wie wir alle, an einem gewissen Punkt seines Lebens dem Sohn Gottes begegnet. Fortan lebte er aus der Hoffnung auf den Herrn, den man zwar nicht sehen kann (vgl. Röm 8,24f.), der aber immer da ist. Darauf vertrauend sind wir alle einmal aufgebrochen, anfangs noch voller Kraft und Energie.

Nun wissen erfahrene Bergsteiger, dass es ein großer Fehler ist, den Weg zu schnell anzugehen, da einem ansonsten hinten raus die Kraft fehlt. Das gilt im Alpinen wie im Berufsleben. Ob Priester oder Laie, denken Sie einmal nach, wie Sie ihre ersten 10-20 Jahre im Dienst in Erinnerung haben. Nicht wenige starten mit Vollgas und sind nach wenigen Jahren erschöpft und ausgelaugt. Andere hingegen kommen so schwer in die Gänge, dass sie ihre angestrebten Ziele nicht erreichen. Am Ende müssen wir alle unseren Weg und ein Tempo finden, dass uns weder unter- noch überfordert. Und irgendwann wird so oder so der Punkt kommen, an dem wir mal eine Pause brauchen, um uns zu vergewissern, ob wir uns noch auf dem richtigen Pfad befinden und wie es uns eigentlich geht. Ein solcher Moment kann ein silbernes Priesterjubiläum sein, was mich zu meinem zweiten Gedanken führt: Mit Jesus rasten.

2. Mit Jesus rasten

Wie gerne sprechen Priester in ihren Predigten von der Entschleunigung, vom Durchatmen und sich besinnen. Daran ist grundsätzlich nichts Falsches, denn wir leben in einer Welt, „in der die Eile eine Konstante geworden ist“, wie der verstorbene Papst Franziskus einmal sagte. „Man hat keine Zeit mehr, sich zu treffen, und selbst in den Familien wird es oft schwierig, zusammenzukommen und in Ruhe miteinander zu reden. Die Geduld ist durch die Eile vertrieben worden und das fügt den Menschen großen Schaden zu. In der Folge haben Ungeduld, Nervosität und manchmal auch grundlose Gewalt Einzug gehalten, die zu Unzufriedenheit und Verschlossenheit führen.“[2] Gott sei Dank, möchte ich sagen, gibt es die verschiedenen Ordensgemeinschaften, die uns immer wieder daran erinnern, diese Entwicklung zu durchbrechen, indem wir uns Zeit für uns selbst, aber auch das tägliche Gebet nehmen. „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“, lehrt uns der hl. Benedikt.

Geist ist das Stichwort: Wir befinden uns am Vorabend von Pfingsten. Gott sendet seinen Beistand wie „Ströme von lebendigem Wasser“ (Joh 7,38) in die Welt, um allen Mut zu machen, die danach dürsten. Jeder Bergsteiger kennt den Moment, wenn er nach einem anstrengenden Wegstück Durst bekommt. Übertragen geht es uns sicher auch so, dass wir manches Mal müde sind und uns alles zu viel wird. Im schlimmsten Fall werden wir dann ungut zu uns selbst oder gegenüber anderen: klare Anzeichen dafür, dass wir eine Unterbrechung brauchen - und hier kommt uns Jesus entgegen und bietet eine Rast an. Damit ist nicht nur eine Pause vom Alltag gemeint, in der wir mal durchschnaufen, sondern vielmehr eine geistliche Bestärkung. Wie ein Durstiger glücklich ist, wenn er auf seinem beschwerlichen Weg einen Schluck Wasser bekommt, so können auch wir Kraft schöpfen aus dem Glauben. Als Christinnen und Christen wissen wir das, und doch fällt es uns oft nicht leicht, uns ganz dem Wirken Gottes zu öffnen. Das aber ist eine zentrale Botschaft der heutigen Schrifttexte, konkret, wenn der Prophet Joel sagt, dass der Herr seinen Geist über Jung und Alt, Frauen und Männer, Knechte und Mägde aussendet, sofern darum gebeten wird. Gott drängt sich also nicht auf. Wir können aber darauf bauen, dass „jeder, der den Namen des Herrn anruft, gerettet wird.“ (Joel 3,5)

Was haben die Jüngerinnen und Jünger denn gemacht, als sie am Vorabend von Pfingsten etwas unsicher und vielleicht auch ermüdet waren? Sie beteten und riefen Gottes Beistand an. Das sollten auch wir an wichtigen Wegmarken unseres Lebens tun. Gerade hier in Andechs sehen wir, wie viele Menschen als Pilger die Erfahrung machen, dass Gott ihnen auf die Fürsprache Marias und vieler Heiligen in ihren Anliegen geholfen hat. Der Herr ist da und seine Nähe ermutigt uns! Darum sind Orte wie dieser so wichtig für unsere Kirche, oder wie es in der Verkündigungsbulle zum Heiligen Jahr heißt: „Es ist nämlich der Heilige Geist, der mit seiner beständigen Gegenwart in der pilgernden Kirche das Licht der Hoffnung in den Gläubigen verbreitet. Er lässt es brennen wie eine Fackel, die nie erlischt, um unserem Leben Halt und Kraft zu geben.“[3] Folgen wir diesem Licht, so kommen wir sicher am Ziel an, das Jesus Christus selber ist.

Damit bin ich bei meinem letzten Gedanken.

3. Bei Jesus ankommen

Unzählige Bergsteiger bestätigen, wie schön und erhebend es ist, den Gipfelpunkt zu erreichen und ins weite Land blicken zu können. Für nicht wenige wohnt diesen Momenten sogar eine spirituelle Kraft inne, und das lässt sich biblisch ja durchaus bestätigen. Abt Johannes stellt in seinem Buch viele geistliche Bezüge her, die in der Erkenntnis zusammengefasst sind, dass Berge Wege zu Gott sein können. Was aber ist aus christlicher Sicht gemeint, wenn wir als Ziel ausgeben, bei Jesus ankommen zu wollen? So leicht die Antwort zu verstehen ist, so schwer scheint es bisweilen, sie im Alltag umzusetzen:

Wir sind als Geschöpfe Gottes dazu berufen, SEINE Gegenwart in der Welt zu erkennen und IHN als unseren Schöpfer zu lieben. So steht es nicht nur am Beginn des katholischen Katechismus, sondern so hat es Jesus Christus selbst uns gelehrt, so haben es die Apostel verkündet, und so haben es unzählige Christinnen und Christen bis zum heutigen Tag weitergegeben. Es ist uns demnach aufgetragen, in allen Dingen Gott auf unserem Lebensweg zu suchen, ob in der Arbeit oder in der Ruhe. Als Benediktiner bemühen Sie sich täglich, diesem Prinzip von „ora et labora“ nachzukommen, und doch braucht es zwischendurch wohl auch immer mal wieder einen Impuls, um bei der Konzentration auf das Wesentliche nicht müde zu werden. Unser Ziel ist erreicht, wenn wir ganz bei Gott sind, und er jeden Tag in und durch uns wirken kann, sei es durch „ein Lächeln, eine Geste der Freundschaft, einen geschwisterlichen Blick, ein aufrichtiges Zuhören, einen kostenlosen Dienst (…), in dem Wissen, dass dies im Geist Jesu für diejenigen, die es empfangen, zu einem fruchtbaren Samen der Hoffnung werden kann“[4]. Wenn uns das gelingt, dann sind wir wahrhaft bei Jesus Christus angekommen. Oder wie es Abt Johannes am Ende seines Buches schreibt:

Nehmen wir stets in den Blick, „was hoch und heilig ist, damit Gott in allem verherrlicht wird“[5].

[1] Johannes Eckert: hoch und heilig. Gipfelbotschaften aus dem Matthäus-Evangelium. München 2016.

[2] Papst Franziskus in seiner Verkündigungsbulle zum Heiligen Jahr Spes non confundit, Nr. 5.

[3] Papst Franziskus in seiner Verkündigungsbulle zum Heiligen Jahr Spes non confundit, Nr. 3.

[4] Ebd., Nr. 18.

[5] Johannes Eckert: hoch und heilig. Gipfelbotschaften aus dem Matthäus-Evangelium. München 2016, S. 142.