„Unsere Friedensethik folgt der Option für die Armen“
Liebe Schwestern und Brüder, „Friede, Friede dem Fernen und Nahen“ (Jes 57,19) – so haben wir es gerade in der Lesung aus dem Buch Jesaja gehört. Diese Zusage unseres Gottes offenbart uns eine Prophetengruppe in der Nachfolge Jesajas vor mehr als 2.000 Jahren. Sie ist ein göttlicher Gegenentwurf zu den Kriegsspielen der Mächtigen und bringt eine universelle Sehnsucht der Menschheit auf den Punkt: Friede in der Welt.
„Friede, Friede dem Fernen und Nahen“ (Jes 57,19) – wie fern erscheint uns diese Zusage gerade in den heutigen Zeiten. Es wird immer deutlicher, dass eine Zeit der Unordnung und des Krieges angebrochen ist und der Friede in weite Ferne gerückt ist. Wir alle wissen um die Situation in der Ukraine, im Nahen Osten oder in den vielen anderen Kriegs- und Krisenherde dieser Welt. Wir alle sehnen uns nach dem Frieden – weltweit wie im persönlichen Umfeld.
Als wir deutschen Bischöfe im letzten Jahr unser Friedenswort „Friede diesem Haus“[1] veröffentlicht haben, schlossen wir unsere Reflexionen daher mit dem Embolismus, also einem liturgischen Einschub, ab. In ihm bitten wir alle in jeder Messfeier: „Erlöse uns Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen und gib Frieden in unseren Tagen.“ Als Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz habe ich viele Krisenregionen besucht und die Not der Menschen mit eigenen Augen gesehen. Diese Erfahrung habe ich auch bei meinen zwei Reisen gemacht, die ich nach Kriegsausbruch in die Ukraine unternommen habe. Aus diesen Erfahrungen kann ich sagen, dass es in Kriegen niemals Gewinner gibt: Sie bringen nur Verwüstungen, Elend und Tod mit sich. Umso stärker findet dieses Flehen nach Frieden in meinem Herzen eine Resonanz.
Doch so sehr wir alle auf Frieden hoffen, wir dürfen uns keinen billigen Friedensversprechen hingeben. Friede geschieht nicht einfach, Friede kann nicht diktiert werden. Der gerechte Friede ist letztlich ein Geschenk. Aber kein Geschenk, dass uns zur Passivität verdammt, vielmehr sind wir dazu berufen, ihm den Weg zu bereiten. Dies ist die Brücke zu den Seligpreisungen, die wir im Evangelium (Mt 5,1-12a.) gehört haben: Je mehr wir uns in den Dienst dieses Friedens stellen, je mehr wir uns bemühen, diesen Frieden vorzubereiten, umso mehr werden wir unserer gemeinsamen Berufung gerecht, Kinder Gottes zu sein.
Doch wie? Was können wir tun, damit der Friede Raum gewinnen kann? Auch hierzu gibt uns die Lesung wertvolle Hinweise. Damit der Friede anbrechen kann, bedarf es der Wiederbelebung des Geistes und der Herzen der Zerschlagenen, des Trostes der Trauernden und der Heilung der Wunden. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Nährboden des Friedens ist die solidarische Hinwendung zu den Opfern von Kriegen. Sie gilt es in das Zentrum zu stellen: Ihre Würde muss wieder aufgerichtet werden; sie sollen Recht und Gerechtigkeit erlangen.
Aus diesem Grund ist auch unsere Friedensethik keineswegs unparteiisch. Sie folgt der vorrangigen Option für die Armen, die von der Kirche verlangt, „dass sie als Anwältin der Schwachen und an den Rand Gedrängten auftritt. Die Verhältnisse sind nach dem Kriterium zu beurteilen, wie sich ihre Lage darstellt und wie sie verbessert werden kann.“ (FdH 26). Die kirchliche Friedensethik stellt darum auch die Opfer von Kriegen und Unterdrückungen in das Zentrum ihres Nachdenkens. Wir müssen den Frieden und unser Friedensengagement primär von ihnen her denken und nicht von z. B. staatlichen Machtinteressen. Dies schließt im Übrigen auch Maßnahmen ein, um die Opfer vor weiteren Gewalttaten zu schützen. So sehr wir uns auch dem Primat der Gewaltverhinderung verpflichtet sehen und immer wieder dazu aufrufen, Konflikte auf zivilen Wegen zu lösen, ist die kirchliche Friedensethik doch keineswegs absolut pazifistisch. Denn: „Mit Blick auf die Opfer von Gewalttaten hält die kirchliche Friedensethik am Recht auf Selbstverteidigung fest, die unter gewissen Umständen auch zur Gegengewalt ermächtigt.“ (FdH 73)
Unsere Hinwendung zu den Opfern ist aber nicht allein ein ethisches Prinzip, sondern vor allem ein theologisches. Hören wir nochmals auf die Lesung: „Denn so spricht der Hohe und Erhabene (…): Als Heiliger wohne ich in der Höhe, aber ich bin auch bei dem Zerschlagenen“ (Jes 57,15). Hierin verbirgt sich ein doppeltes Versprechen: Einerseits die hoffnungsvolle Gewissheit, dass Gott die Opfer niemals alleine lässt, sondern in ihrem Leid bei Ihnen ist. Andererseits dürfen wir darauf vertrauen, dass unsere Hinwendung zu den Opfern immer auch eine Umkehr zu Gott ist.
So verstanden ist unser Friedensengagement ein Dienst am Gemeinwohl, ein Dienst an unseren Nächsten und ein Dienst an Gott.
[1] Die deutschen Bischöfe: „Friede diesem Haus“. Friedenswort der deutschen Bischöfe (Die deutschen Bischöfe, Nr. 11), 21. Februar 2024.