„Wer’s glaubt, wird selig“
Sehr geehrte, liebe Frau Prof.in Gerl-Falkowitz, lieber Reinfried, liebe Mitarbeitende in der Abteilung Evangelisierung, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, allen, die seit Monaten mit der Vorbereitung und der Durchführung des heutigen Studientages beschäftigt waren, will ich gleich zu Beginn ein herzliches „Vergelt’s Gott“ sagen.
Auch dass Sie, liebe Frau Professorin Gerl-Falkowitz, die recht weite Reise nicht scheuten und uns heute den zentralen Vortrag halten, dafür bin ich sehr dankbar. Das eben angebrochene Jahr 2025 steht in der Spannung, ein Heiliges Jahr zu sein und damit die Jubel- und Sabbatjahre des Alten Testamentes wieder ins kollektive Bewusstsein zu rufen, gleichzeitig aber gedenken wir auch des Konzils von Nicäa vor 1.700 Jahren, mit dem wir den Beginn der bis heute verbindlichen Formulierung unseres Glaubensbekenntnisses als Christinnen und Christen ansetzen.
Ein Spannungsbogen, der, wie ich meine, fruchtbar gemacht werden kann, auch und gerade in unseren Tagen, in denen die Parole der friedlichen Revolution von 1989 „Wir sind das Volk“ allzu schnell in populistischer und zunehmend auch identitärer Manier verkürzt und nicht selten sehr aggressiv vertreten wird. Wenn der Zimmermann Jesus bei seinem ersten öffentlichen Auftreten in der heimatlichen Synagoge - unsere revidierte Einheitsübersetzung überschreibt die Passage programmatisch mit „Die Antrittsrede in Nazaret“ -, die einschlägigen Stellen aus dem Propheten Jesaja vorliest und kommentiert: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“, dann signalisiert uns der Evangelist Lukas damit den Anbruch der Gottesherrschaft im Hier und Jetzt! Leben wir in dieser Erfüllung? Erkennen andere an uns, dass wir in der Nachfolge Jesu Christi stehen, des gekreuzigten und auferstandenen Herrn?
Das nämlich heißt mit dem Brief an die Hebräer „glauben“: „Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ Nicht weil man da, wo nichts ist, etwas sieht, also Gespenster sieht, sondern weil dieses Sehen hinter die Dinge blickt und tiefer geht als das bloße Erkennen mit den Augen des Leibes. Und der Verfasser fährt fort: „Aufgrund des Glaubens erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort erschaffen worden und dass so aus Unsichtbarem das Sichtbare entstanden ist.“ Unter den Beispielen, die er anführt, ist besonders das des Archebauers angesichts des menschengemachten Klimawandels von erschreckender Aktualität: „Aufgrund des Glaubens wurde Noach das offenbart, was noch nicht sichtbar war, und er baute in frommem Gehorsam eine Arche zur Rettung seiner Familie; durch seinen Glauben sprach er der Welt das Urteil und wurde Erbe der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt.“ (Hebr 11,1.3.7).
Wenn wir als Gläubige manchmal kurz und rabiat mundtot gemacht werden sollen mit dem Satz: ‚Glauben heißt nichts wissen‘, so ist das richtig und falsch zugleich. Denn Noach glaubte an das, was
noch nicht
sichtbar war. Das heißt doch nichts Anderes, als das er die „Zeichen der Zeit“ erkannte und richtige Schlussfolgerungen aus ihnen zog. Noach hörte auf die leise Stimme, die Stimme seines Gewissens, er vertraute seiner Intuition, lateinisch für: die innere Schau, die Innensicht; er folgte dem Impuls, sich, seine Familie und die Tiere zu retten, und tat damit das einzig Richtige.Liebe Schwestern und Brüder,
das ist mehr als eine legendarisch ausgeschmückte Erzählung. Sie macht deutlich, dass wir Menschen mit mehr als den fünf Sinnen begabt sind, wir haben Vernunft und Intuition, wir haben ein Gewissen und sammeln in unserem Leben einen Erfahrungsschatz an, den uns niemand nehmen kann. Tatsächlich glauben wir ganz und gar nicht voraussetzungslos. Im Gegenteil: Wir stützen uns auf „eine solche Wolke von Zeugen“ (Hebr 12,1), auf Generationen, die vor uns geglaubt und gelitten haben, aber eben aus dem Glauben heraus fähig wurden zu einer Liebe, deren Spuren unzerstörbar in die Menschheitsgeschichte eingeschrieben und bis heute Ansporn sind, es ihnen nachzutun. Zahllos sind die Heiligen, wo es in einem Menschenleben schon kaum mehr möglich ist, die Biografien allein der Heiliggesprochenen auch nur zu lesen!
Was aber der christliche Glaube nicht ist, darauf möchte ich aus gegebenem Anlass zum Schluss meines Grußwortes ausdrücklich hinweisen: Er ist kein sklavisches Auswendiglernen von Glaubensformeln, auch kein skrupulöses Festhalten an Worten, die angeblich unverändert in nur einer geringen Anzahl von sog. heiligen Sprachen weitergegeben werden müssen, um die Botschaft nicht zu verkürzen. Christlich Glauben heißt auch nicht seinen Verstand an den Nagel hängen und sich dumm stellen oder als Erwachsener einem wie auch immer nebulösen Kinderglauben das Wort zu reden.
Wer vielmehr die Gotteskindschaft im Sinne der Botschaft Jesu ernst nimmt, der weiß, dass es gerade die Vernunft ist, die wir im Lichte des Glaubens als Geschenk unseres Schöpfers wertschätzen dürfen. So gesehen ist dann das „Sapere aude“, das der Philosoph Immanuel Kant als Grundbedingung für einen aufgeklärten, und das heißt vor allem einem mündigen Menschen betrachtet, sein Appell: „Wage es, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“, wage es, selbst zu denken, auch eine Grundbedingung für den lebendigen, wachen und tragfähigen Glauben. Denn wir glauben nicht, weil andere Menschen glauben, sondern weil wir erfahren haben, dass der Vater Jesu Christi, von dem sein Sohn Kunde gebracht hat (Joh 1,18), auch uns zum Vater geworden ist.
Mit dem evangelischen Märtyrer Dietrich Bonhoeffer möchte ich betonen: „Es gibt im Neuen Testament keine ethische Vorschrift, die wir buchstäblich zu übernehmen hätten oder auch nur übernehmen könnten. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig, sagt bekanntlich Paulus (2 Kor 3,6); das bedeutet: Geist gibt es nur im Vollzug des Handelns, in der Gegenwart, der festgelegte Geist ist kein Geist mehr. So gibt es auch Ethik nur im Vollzug der Tat, nicht in Buchstaben, d. h. im Gesetz. Der Geist aber, der im ethischen Handeln an uns wirksam ist, soll der Heilige Geist sein. Heiligen Geist gibt es nur in der Gegenwart, in der ethischen Entscheidung, nicht in der festgesetzten Moralvorschrift, im ethischen Prinzip. Darum können die neuen Gebote Jesu niemals als neue ethische Prinzipien aufgefasst werden, sie sind in ihrem Geist nicht buchstäblich zu verstehen. Und das ist keine Ausrede, weil die Sache sonst zu unbequem wäre, sondern die Idee der Freiheit und der Gottesgedanke Jesu fordert das.“[1]
Vor diesem Hintergrund wünsche ich nun uns allen einen fruchtbaren, tiefgehenden und hoffnungsfrohen Studientag mit unserem Glaubensbekenntnis in der Gewissheit: Wer glaubt, ist nie allein (Benedikt XVI.) und: wird selig!
[1] Dietrich Bonhoeffer: Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931, DBW Band 10, Seite 332 f.